Mittwoch, 10. November 2021

Leseprobe - Traumloser Alpträumer

  Leseprobe


~ Traumlos ~

Seitdem ich auf der Welt bin, nein, eigentlich erst, seit ich im Kindergarten versucht habe, mir das Wort ‚Traum‘ erklären zu lassen, weiß ich, dass ich noch niemals geträumt habe.

Bis heute nicht, was bedeutet, dass seit meiner kindlichen Neugier ganze 33 Jahre vergangen sind.

Inzwischen bin ich 37 und noch immer absolut traumlos.

Zumindest, was eigene Träume angeht …

„Tamino, hättest du die Güte, dich zwei Minuten zu konzentrieren?“ Die herrische Stimme meiner Mutter Fioretta lässt mich mit den Augen rollen, dennoch gehorche ich und sehe sie interessiert an.

Oh nein, ich bin kein Muttersöhnchen, es ist mehr so, dass meine gesamte Familie sich dazu bemüßigt fühlt, mir möglichst oft und möglichst intensiv ins Leben zu pfuschen.

Ein wenig ungerecht ist diese Behauptung schon, aber irgendwie auch wahr.

Jeder hier auf dem Landsitz der Familie Pförtner von der Hölle ist neugierig auf den neuesten Tamino-Klatsch, bevormundend, wenn es um mein – dem Teufel sei Dank außerhalb dieses monströsen Hauses stattfindendes – Leben geht, oder einfach nur unglaublich selbstgefällig-weise.

Ich kann gar nicht genug Anführungszeichen an das ‚weise‘ denken!

Jeder will mir helfen, mit klugen Ratschlägen und allem, was man in meinem Leben so verderben könnte.

Jeder, das bedeutet im Einzelnen meine Mutter, meine Großeltern, ein paar Onkel und Tanten und vereinzelte Cousinen.

Die Familienmitglieder meiner Generation ziehen es größtenteils vor, möglichst weit weg zu leben.

Ich kann sie verstehen, aber weiter, als bis in die Stadtwohnung, in der ich wohne, habe ich es nach dem Studium nicht geschafft.

Muss ich erwähnen, dass ich am liebsten abtauchen und nie wieder zurückkommen würde?

Nein, das würde nichts bringen, abgesehen von jeder Menge Ärger.

Ich lebe tatsächlich ganz gut damit, dass meine Familie mich als ihren Mittelpunkt ansieht, auch wenn ich für dieses zweifelhafte Privileg zwei mir wahnsinnig wichtige Dinge meines bisherigen Lebens aufgeben musste.

Zum einen meinen Vater Rex, der vor vier Monaten gestorben ist, zum anderen meine Praxis.

Ich habe studiert, bin Doktor der Medizin mit Facharztausbildung als Psychiater und Psychotherapeut und einer Zusatzausbildung im neuen Fachbereich der Somnologie.

Da ich die Praxis schweren Herzens vor zwei Monaten geschlossen habe, nutze ich mein durch das Studium gewonnenes Wissen heute ausschließlich auf andere Art.

Wie heißt es doch so treffend?

Sei deinen Freunden nah, aber deinen Feinden näher.

„Was ist denn noch?“, frage ich wenig höflich, was zugegebenermaßen in meinem Naturell liegt.

In meinen Augen ist Takt nur der heuchlerische Versuch, die Wahrheit hinter als Höflichkeit getarnten Lügen zu verbergen.

„Christoph hat angerufen, du sollst zur Gegenzeichnung von zwei Schriftstücken erscheinen.“

Mein Großcousin Christoph, der Familienanwalt also. Dann handelt es sich bei den Dokumenten sicherlich um mein Testament und notarielle Verfügungen bezüglich meines mittlerweile einzigen Jobs.

Ich bin nicht sterbenskrank oder Ähnliches, aber ich lebe relativ gefährlich.

„Ja, ich kümmere mich darum“, gebe ich zurück. „Auch wenn ich mich ernsthaft frage, wofür ich ein Testament brauche. Ich habe schließlich keine Nachkommen!“

Diesen Nachsatz kann ich mir nicht verkneifen.

„Ich will dich nicht verlieren, Mino! Christoph besteht auf einem Testament …“, erklärt meine Mutter in deutlich versöhnlicherem Ton, und kommt mit wenigen, schnellen Schritten zu mir.

Ich sitze auf einem Diwan im grünen Salon, dem klassischen Wohnzimmer meiner uralten Familie.

Sie tritt dicht heran und nur Augenblicke später hat sie ihre kühlen Hände an meine Wangen gelegt.

Ich sehe sie an, bemerke wie immer die tiefsitzende Melancholie in ihrem Blick und muss hart schlucken. „Er fehlt mir auch, Mama.“

„Dein Vater wäre sehr stolz auf dich, Tamino. Das war er immer.“

Ich muss blinzeln, als ich erkenne, dass ihre hellgrauen Augen feuchter werden. Wie ist aus diesem doch recht dienstlichen Gespräch nun das hier geworden? Eine schmerzhafte und vernichtende Erinnerung an meinen Vater?

Rex Pförtner von der Hölle, der Mann, dem ich alles verdanke, wirklich alles.

Nicht nur das Gute!

Dennoch benötige ich nicht den Anblick der Trauer meiner Mutter, um selbst das Bedauern über den Verlust zu verspüren.

Mein Vater war alles für mich. Hilfe, Stütze, Lehrmeister, Vorbild, Tröster und Waffenbruder.

Er hat mir alles beigebracht, was ich zum Überleben wissen muss. Hat mir jeden Trick und Kniff gezeigt, um meine Lebensaufgabe ausführen zu können. Immer wieder. Nacht für Nacht.

Wobei …

Meine Tätigkeit hängt weniger von der Tageszeit ab, denn von den Gewohnheiten derer, um die es geht.

Seit ein paar Monaten stehe ich allein vor der Aufgabe, die mir meine Geburt in diese Familie nebst meinem Geschlecht eingebracht hat.

„Ich fühle mich so allein ohne ihn“, quetsche ich an dem dicken Kloß in meinem Hals vorbei.

„Ich weiß, Junge! Der Teufel weiß, ich würde es dir gern ersparen! Aber du weißt so gut wie jeder von uns, dass wir ohne dich in ernste Schwierigkeiten geraten werden.“ Die Eindringlichkeit, mit der meine Mutter diese tränenerstickten Worte sagt, lässt mich schaudern und ihre Hände ergreifen, die noch immer an meinem Gesicht liegen.

Wir leiden beide sehr darunter, dass Rex nicht mehr da ist. Das tun alle Familienmitglieder.

Aber im Gegensatz zu meiner Mutter, die in jeglicher Form unschuldig an seinem Ableben ist, wird mein Gewissen stark davon belastet.

Es ist meine Schuld.

Vielleicht habe ich deshalb gar kein Recht, um ihn zu trauern?

Ich weiß es nicht. Aber ich kann die Gefühle auch nicht abstellen. Weder die guten noch die schlechten.

Ich drücke die Hände meiner Mutter sacht und stehe auf, um sie in eine enge Umarmung zu ziehen.

„Es tut mir so leid, dass ich ihn nicht davor bewahren konnte!“, wispere ich.

„Das weiß ich! Ich denke aber auch, dass du es nicht hättest verhindern können!“

Redet sie das sich oder mir ein? Ich weiß es nicht und beschließe, es dabei bewenden zu lassen.

Zu oft schon hat ein Gespräch über unsere Trauer diese Wendung genommen.

„Vielleicht hast du recht“, erwidere ich deshalb nur und drücke sie noch einmal an mich, bevor ich sie auf Abstand bringe.

Sie wischt hastig die Tränen fort, und ihre Gestalt strafft sich.

Meine Mutter verbirgt wie vorhin wieder ihre Gefühle hinter einem geraden Rücken und festem Auftreten.

Sie ist eine starke Frau, auch wenn das aufgrund ihrer zierlichen Figur niemand vermuten würde.

Seit dem Tod meines Vaters trägt sie ausschließlich schwarze Kleidung, heute einen knielangen Rock und eine einfache, taillierte Bluse.

Ihr von grauen Strähnen durchzogenes, etwa kinnlanges Haar frisiert sie immer zu einem akkurat liegenden Bob.

Durch meine Umarmung ist alles etwas durcheinandergeraten, weshalb ich die Hand hebe, um die widerspenstigen Strähnen glattzustreichen.

Sie zwingt sich zu einem tapferen Lächeln, doch ich weiß so gut wie sie, dass es ihre Augen niemals wieder erreichen wird.

Sie hat gelebt für meinen Vater und mich, nein, für unsere gesamte Sippe. Doch was vor vier Monaten geschehen ist, hat uns alle aus der Bahn geworfen.

Seitdem verkriecht sich meine Mutter stets hier im Landsitz.

Früher kam sie öfters [f1] in der Stadt vorbei, hat mich besucht, ging mit mir shoppen …

Ich habe zu meinen Eltern das beste nur mögliche Verhältnis. Nun ja, zu meiner Mutter. Aber das zu Rex war genauso, bis es folgenschwer endete.

Sie wendet sich geschäftig ab, streicht in einer schon hilflos anmutenden Geste ihren perfekt sitzenden Rock glatt, und tut mir einfach wahnsinnig leid.

Immer wieder ertappe ich mich dabei, dass ich mir wünsche, nicht mein Vater, sondern ich wäre in jener Nacht gestorben, doch weiß ich auch, dass es für meine Mutter kaum etwas geändert hätte.

Verlust der engsten Familie ist niemals leicht zu ertragen.

Ich atme tief durch und zwinge meine Gedanken in eine andere Richtung.

„Weiß Liliana schon, was es wird?“, frage ich und versuche, mir meine bange Ahnung nicht anhören zu lassen.

„Ein Mädchen“, flüstert meine Mutter und fährt herum, als ich erleichtert „Dem Teufel sei Dank!“, sage.

„Tamino!“, weist sie mich zurecht, wie es wohl nur Mütter können, denn ungeachtet meines Alters zucke ich ob ihres peitschenartigen Tonfalls zusammen.

„Ich weiß, was du sagen willst“, beginne ich und hebe beschwichtigend die Hände. „Aber du wirst mich nicht daran hindern können, mich zu freuen, wenn keine weiteren Jungs in unserer Familie geboren werden.“

Sie seufzt tief und geht zu dem bereitstehenden Kaffeetablett, um mir und sich eine Tasse einzuschenken.

Irgendeiner der zahlreichen Hausgeister muss es eben gebracht haben, vermutlich, als Mutter und ich uns umarmt haben.

Ich gehe zu ihr, nehme die Tasse aus feinem, dünnwandigem Porzellan entgegen, rühre einen Löffel Zucker hinein und nippe von meinem Kaffee.

„Ich mag es nicht, wenn du das tust, das weißt du.“

Ich nicke. „Natürlich, aber denkst du wirklich, ich will, dass noch jemand aus unserer Familie dieses, mein!, Schicksal teilen muss?“

Ihr nachsichtiges Lächeln zeigt mir, dass sie sich endgültig gefangen hat.

Nur Augenblicke später setzen wir uns wieder und die beinahe deckenhohe Flügeltür zum Foyer des Hauses springt auf.

Mich irritiert, dass ich das Getrappel der Kinderfüße ebenso wenig gehört habe wie das laute Geschrei.

Nach den drei Wirbelwinden, die ins Zimmer rauschen und sich als meine Nichten entpuppen, tritt gemessenen Schrittes auch meine jüngere Schwester ein.

Man sieht Liliana die vierte Schwangerschaft noch nicht an, aber wir alle wissen bereits davon.

Ich bin so froh, dass ihr Ungeborenes erneut ein Mädchen sein wird!

Meine Tasse habe ich schon bei ihrem Erscheinen vor den drei wilden Hummeln in Sicherheit gebracht, die mich mit „Onkel Tami!“ begrüßt haben. Nun schiebe ich die Süßen von mir und erhebe mich, um meine Schwester zu umarmen.

Liliana ist 34 Jahre alt und ich danke dem Teufel an jedem Tag, dass sie ein Mädchen ist.

Unsere Familie hat bereits genug Verluste erlitten, das wusste ich schon in jüngster Kindheit.

Manche der männlichen Familienmitglieder tragen ein besonderes Gen in sich. Wir mögen nicht mehr alles in jeder Einzelheit wissen, doch diese Erbanlage kennen wir genau.

Wir sind Diener des Teufels. Luzifer persönlich hat uns die Gene gegeben, die uns zu Traumjägern machen.

Noch heute sind wir, was unser Name sagt.

Pförtner der Hölle.

Ich habe viele Cousinen, Tanten, angeheiratete Onkel und süße kleine Nichten, aber niemand aus der gesamten Sippschaft trägt noch das gleiche Gen wie ich.

Übertragen wird es ausschließlich durch die weibliche Blutlinie.

Ein – höchst unwahrscheinliches! – Kind von mir wird nicht ‚infiziert‘ sein, solange ich es nicht mit einem weiblichen Familienmitglied zeuge. Beispielsweise einer entfernten Cousine.

Meine Eltern sind ein solcher Fall.

Wäre meine Mutter nicht Fioretta Pförtner von der Hölle, die Großcousine meines Vaters, hätte ich auch als Junge die Chance gehabt, anders zu leben.

Normal. Langweilig. Ungefährlich.

„Schön, dich zu sehen“, sagt meine Schwester, als ich sie an mich ziehe.

„Dito“, erwidere ich und drücke ihr einen Kuss auf die Stirn. Sie ist zwar größer als meine Mutter, reicht mir aber dennoch nur bis an die Schulter.

Vielleicht ist es keine große Kunst, kleiner zu sein als ich, da ich mit meinen einssechsundneunzig sowieso die Mehrheit der Menschen überrage.

Meine Schwester begrüßt auch meine Mutter, dann setzt sie sich zu uns und bekommt statt des Kaffees einen Tee.

Sie liebt Tee und trinkt niemals Kaffee, es gibt somit keinen Zusammenhang zu ihrer Schwangerschaft.

Zwei meiner Nichten haben beschlossen, dass es ihnen im Salon zu langweilig ist, und sind wieder hinausgestürmt, um nach den Hunden zu suchen.

Schon immer gibt es in diesem Haus ein ganzes Rudel Hunde, die man nicht unbedingt als Schoß- oder Haushunde ansehen würde.

Soweit ich weiß, sind es momentan sechs vierbeinige Freunde des Menschen, die dieses gewaltige Herrenhaus nebst Gartenpark ihr Revier nennen.

Da eine der Hündinnen trächtig ist, wird sich diese Zahl in absehbarer Zeit stark verändern – Dobermänner haben oftmals große Würfe von acht bis zehn Jungen.

Unsere Rasselbande, die mit Hängeöhrchen und langen Ruten ausgestattet ist, wie es sich von Natur aus gehört, ist ein bunter Haufen von braun-braunen und schwarz-braunen Gesellen.

Meistens halten sie sich jetzt im Sommer in einer der kühlen, schattigen Ecken des Parks auf.

Das gesamte Grundstück ist von einer beinahe vier Meter hohen Mauer eingefriedet. Lediglich über das gigantische, zweiflügelige Haupttor und über zwei Nebentore auf der Rück- und der Westseite der Einfriedung, kann man das Grundstück betreten.

Niemand wird freiwillig einen Fuß auf das Gelände setzen, solange er der Familie – und damit den Hunden – nicht bekannt ist.

„Onkel Tami?“ Der bettelnde Ton meiner zweitältesten Nichte Larissa sichert ihr meine ungeteilte Aufmerksamkeit.

„Ja, Larissa?“

„Kommst du mi-hit?“

Ich grinse und ignoriere die leisen, sehnsüchtigen Seufzer meiner weiblichen Anverwandten, die die kleine Szene beobachten, als gäbe es nichts Interessanteres auf der Welt. Ich meine, ich und Kinder, das ist mehr als unwahrscheinlich, angesichts der Tatsache, dass ich stockschwul bin, aber Lily und Mama sehen das offenbar noch immer mit Wehmut.

Dabei sollte es doch wirklich ausreichen, dass ich meine Nichten in allem unterstütze und sie liebe, oder?

„Wohin denn?“, frage ich mit großen Augen und ziehe die Siebenjährige auf meinen Schoß.

Sie trägt genau wie ihre Schwestern fast nie Kleidchen oder Röcke.

Heute haben alle drei kurze Hosen und T-Shirts mit Aufdrucken an.

Auf Larissas steht ‚Volle Kanne!‘ und ich weiß nur zu genau, dass das ihr Motto ist.

Quirlig, aufgedreht, zu jedem Spaß und jeder Schandtat bereit, mussten der eine oder andere Hausgeist, wahlweise ihr Vater, ihr Opa oder ich sie schon aus einem Baum, von einem Gartenhausdach oder aus einem Graben retten.

Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich glatt behaupten, dass sie jenes grausame Gen in sich trägt. Sie ist in ihrem zarten Alter schon ein echter Adrenalin-Junkie.

Während ihre Schwestern Silvia und Mathilda zwar wild, aber doch auch ein wenig ängstlich sind, ist Larissa das furchtloseste Wesen, das ich kenne – und ich kenne eine Menge, von denen andere nicht einmal eine Ahnung haben!

„Zu den Hunden! Oder dürfen wir heute zu den Pferden?“, erklärt die Kleine mir, und ich schürze nachdenklich die Lippen.

„Aber kein Ausritt!“, stelle ich sofort klar und erhebe mich mit dem Bündel Mädchen im Arm, das sich kichernd windet.

„Viel Spaß! Und passt auf die Pferdebremsen auf!“, ruft uns Liliana nach.

„Wir werden ihnen kein Haar krümmen“, gebe ich kichernd zurück.

Im Foyer setze ich Larissa ab und wir gehen Hand in Hand durch den Wirtschaftsteil des Hauses in den Nebenflügel, von wo aus wir ohne Umwege in den Abstellraum gelangen.

Hier stehen die Reitstiefel aller Familienmitglieder, außerdem sind auch Reithosen vorrätig.

Ich krame für meine Nichte eine wirklich alte Reithose von Liliana heraus, halte sie ihr prüfend an, und scheuche das Kind hinter den Vorhang in der Ecke, der als Umkleidekabine dient.

Minuten später steht sie in Socken und Reithose wieder vor mir und sieht mit ihren dürren Spargelbeinchen aus, als wolle sie einen Storch imitieren.

„Zieh die Stiefel an, Schatz. Ich muss mich auch umziehen.“

Mir meine sauteuren, hellen Jeans im Pferdestall zu versauen, widerstrebt mir.

Auch wenn nicht ich, sondern Larissa reiten wird, muss ich das Pferd führen und ihr Hilfen geben.

Noch lernt sie schließlich.

„Ich sag schon mal im Stall Bescheid!“, kräht sie aufgeregt und ist weg, bevor ich auch nur in die Reithose geschlüpft bin.

Schließlich folge ich ihr und gehe über den gepflasterten Hof zum Stall.

Hier stehen nicht wahnsinnig viele Pferde, nur zehn, aber die reichen auch, wenn es darum geht, wie viel Arbeit sie machen.

Zwei Stallburschen kümmern sich um sie, sofern die Familie keine Zeit hat, den Beritt selbst zu übernehmen.

„Na? Wen hast du dir ausgesucht? Fritzchen?“, erkundige ich mich, als ich in die schattige Stallgasse trete.

Fehlanzeige, auf dem Putzplatz unweit des Eingangs steht keineswegs das Islandpferd Fritzchen, sondern eines der größten aus dem Stall.

Ich schnaube leise und tausche einen Blick mit Silas, dem Stallburschen, der gerade dabei ist, Nibelungenring zu satteln.

„Dein Pferd!“, erklärt Larissa stolz und grinst mich an.

„Sie sagte, dass du gleich kommst, sonst hätte sie ihn nie bekommen“, erklärt Silas fröhlich.

„So? Du meinst, du darfst einfach so meinen Dicken reiten?“

„Ja!“

Ich grinse zurück und strecke die Arme nach ihr aus. „Komm her, wilde Hummel!“

Sie springt in meine Arme und ich hebe sie hoch, zeige ihr, wie weit oben sie gleich sitzen wird, wenn sie schon unbedingt meinen Oldenburger Wallach reiten muss.

Nibelungenring, den wir meistens nur ‚Dicker‘ oder ‚Ring‘ nennen, hat ein Stockmaß von einsachtzig.

Ich weiß so gut wie jeder andere, dass es zwecklos ist, Larissa von irgendetwas abzubringen.

Mir ist es auch deutlich lieber, dass sie Ring reitet, wenn ich dabei bin, als dass sie mit kindlichem Charme auf eigene Faust versucht, die Stallburschen auszutricksen.

Kaum ist Ring fertig, setze ich meine Nichte in den Sattel und lasse die noch hochgezogenen Steigbügel, wo sie sind.

Die Lederriemen lassen sich zwar verkürzen, aber nicht so weit, dass sie für Larissa taugen würden.

Da die Kleine meinen Dicken nicht strapazieren soll, wird er nicht aufgetrenst, sondern hat weiterhin sein Stallhalfter und einen Führstrick an.

Ich nehme Silas den Strick ab und führe den Wallach nach draußen.

Auf dem Weg zu dem Sandplatz, der, von hohen Obstbäumen umringt, im Schatten liegt, treffen wir Silvia und Mathilda, die die Hunde gefunden haben.

Wir grüßen, wobei Larissa eine übertriebene Geste macht, bei welcher ihr Reithelm fast ihr linkes Knie berührt, dann verschwinden wir zum Platz.





~ Schlaflos ~

„Neiiiiiiiiiiiin!!!!“ Mein markerschütternder Schrei reißt mich abrupt aus den Fesseln des Alptraums.

Schweißgebadet und zitternd rappele ich mich in eine sitzende Position auf. Verdammt! Obwohl ich mit aller Kraft gegen den Schlaf gekämpft habe, bin ich doch vor dem Fernseher eingenickt.

Ich rubble mir fest übers Gesicht und versuche, meinen davongaloppierenden Herzschlag wieder einzufangen.

Ein rascher Blick zur Uhr. Es ist kurz vor Mitternacht, und wenn meine Erinnerung mich nicht trügt, ist heute Freitag. Ich kann es noch riskieren, meine Schwester anzurufen, ohne sofort von ihr geschlachtet zu werden.

Obwohl … wenn sie es tun würde, hätte ich mein beschissenes Leben endlich hinter mir.

Umgehend verdränge ich diesen Gedanken in den hintersten Winkel meines Gehirns. Lasse ich solche Überlegungen zu, ziehen sie mich unweigerlich in den Abgrund und mein Traum nimmt noch unerträglichere Ausmaße an.

Ich greife zum Handy, öffne die Kontaktliste und drücke auf Bibianas Namen. Es ist mir zwar unangenehm, sie wieder mal mit meinem Scheiß zu behelligen, aber ich brauche jetzt einen Menschen, der mein Problem kennt, in meiner Nähe.

Das zweite Rufzeichen ist kaum verklungen, schon höre ich Bibis atemlose Stimme: „Denno, was ist los? Geht es dir nicht gut?“

Ein tiefes Seufzen meinerseits sagt ihr alles, was sie wissen muss.

„Ich komme rauf.“

Selbst wenn ich widersprechen wollte, hätte ich keine Chance, Bibi hat bereits aufgelegt.

Ehe ich ins Bad verschwinde, um mir kaltes Wasser ins Gesicht zu werfen, öffne ich die Wohnungstür. Bibi muss nur durchs Treppenhaus in die erste Etage aufsteigen. Sie bewohnt mit ihrem Mann Tobias und den Kindern Finn und Finja das Erdgeschoss unseres Elternhauses, während ich das obere Stockwerk mein Eigen nenne.

Die Eingangstür fällt ins Schloss.

„Denno, wo steckst du?“

„Im Bad, gib mir noch einen Moment.“

Aus dem Spiegel starrt mir ein leichenblasses Gesicht mit dunklen Augenrändern entgegen. Ich sehe fürchterlich aus.

Wenn das so weiter geht, kauft mir niemand mehr ab, dass ich erst 34 Jahre alt bin. Erste graue Fäden ziehen sich durch mein schokoladenfarbenes Haar. Die Falten in Augen- und Mundwinkeln lassen sich durch mein verhärmtes Aussehen auch nicht als Lachfältchen deklarieren.

Seufzend streife ich mein Shirt ab, beuge mich über das Waschbecken und spüle mir den inzwischen getrockneten Schweiß von Gesicht und Oberkörper. Den fiesen Geschmack im Mund vertreibe ich mit ausgiebigem Zähneputzen.

Bevor ich mich dem kritischen Blick meiner großen Schwester stelle, husche ich noch ins Schlafzimmer und schlüpfe in einen kuschlig warmen Hoodie.

Der aromatische Duft frisch aufgebrühten Lavendeltees empfängt mich, als ich das Wohnzimmer betrete. Bibi schwört auf dieses Zeug, wenn man innerlich angespannt ist und nicht einschlafen kann.

Mein Problem liegt allerdings nicht darin, dass ich nicht schlafen kann, sondern nicht schlafen will.

Das weiß außer mir niemand besser als sie, aber Bibi möchte mir einfach etwas Gutes tun und mich ein wenig bemuttern.

Seit unsere Eltern vor zehn Jahren, als Pa in den Ruhestand getreten ist, ihren Hauptwohnsitz in die Toscana verlegt haben, fühlt meine Schwester sich berufen, Mutterstelle bei mir zu vertreten.

Quatsch! Sie tut es, solange ich denken kann.

Meine Mutter, wenn man sie überhaupt so nennen will, ist keine besonders liebenswerte Frau. Sie hat ständig versucht, aus Bibi und mir Vorzeigekinder zu machen und wenn wir nicht so funktionierten, wie sie es wollte, konnte sie ziemlich bösartig reagieren.

Meist genieße ich es, von Bibi betüddelt zu werden, aber manchmal geht es mir auch erbärmlich auf den Sack. So wie jetzt gerade.

„Denno, so geht das nicht weiter. Wann warst du eigentlich das letzte Mal bei deinem Therapeuten? Jetzt setz dich endlich hin und trink deinen Tee, er hat lange genug gezogen.“

Ohne Punkt und Komma redet sie auf mich ein. Mir ist es echt ein Rätsel, wie sie das schafft, ohne zu ersticken.

Mit einem gezwungenen Lächeln lasse ich mich neben sie auf das Sofa plumpsen und umarme sie kurz aber heftig.

„Lass gut sein, Schwesterchen. Du weißt genau, dass ich nicht schlafen will und wegen des Therapeuten – der kann mir sowieso nicht helfen.“

Bibi streckt sich zum Tisch und umgehend schwebt die Teetasse direkt unter meiner Nase. Ein strafender Blick aus goldbraunen Augen lässt mich ergeben nach dem Lavendelgesöff greifen und ich nippe vorsichtig daran.

Innerlich schüttelt es mich. Ich liebe Lavendel – in Bibis Garten und in meinen Blumenkästen auf der Terrasse, aber als Getränk finde ich ihn widerlich, egal wie viel Zucker man hineinrührt.

„Süße, es ist sehr lieb, dass du sofort zu mir geeilt bist, aber Tobias ist bestimmt nicht begeistert, an einem Freitagabend allein unten zu sitzen.“

„Mein Schatz ist wie üblich mitten im Film eingeschlafen, der merkt gar nicht, dass ich weg bin. Jetzt erzähl mir endlich von deinem Traum. Ich höre dich seit Wochen fast jede Nacht schreien. Du kannst es abstreiten, soviel du willst, es scheint doch immer schlimmer zu werden.“

Verdammte Axt! Verflucht seien die dünnen Wände dieses Hauses.

Eigentlich bin ich alt genug, um meine Probleme allein zu bewältigen, aber es tut gut, mit Bibi darüber zu reden. Ich weiß es, weil meine Schwester seit frühester Jugend meine Vertraute ist.

Zu ihr bin ich ins Bett geflüchtet, als der Traum begann, mich im Alter von vier Jahren heimzusuchen. Bibi ist sieben Jahre älter und hat immer versucht, mich zu trösten und zu beschützen. Als Teenager hat sie monatelang Bücher über die Ursprünge von Träumen und deren Auslegung gelesen. Leider haben uns ihre daraus gewonnenen Erkenntnisse keinen Schritt weitergebracht.

Nachdem ich volljährig geworden bin, hat sie mich zu allen möglichen Leuten geschleppt – Ärzten, Heilpraktikern, dubiosen Gestalten, die angeblich böse Träume vertreiben können. Selbst zu einem Priester hat sie mich geschleift. Ich habe mich zwar mit Händen und Füßen gewehrt, da ich meinen Glauben an Gott und das Gute in ihm schon als Kind verloren hatte. Als dieser Schwachkopf mich einem Exorzismus unterziehen wollte, hat sie es aufgegeben, mir durch Außenstehende helfen lassen zu wollen.

„Was soll ich dir großartig erzählen? Du kennst meinen Traum doch seit Jahren. Ich habe ihn dir oft genug geschildert.“

„Das schon, aber du hast noch nie so schlecht ausgesehen, wie in den letzten Wochen. Denno, du wirst immer dünner und hast du dein Gesicht in letzter Zeit mal genau im Spiegel betrachtet? Brüderchen, ich mache mir Sorgen und habe echt Angst um deine Gesundheit.“

Ich nicke. Schließlich erzählt sie mir nichts Neues. Erst vor ein paar Minuten hat mir vor meinem Spiegelbild gegraut.

„Naja, wie soll ich es sagen … Der Traum ist im Grunde immer noch der Gleiche, wie vor 30 Jahren. Die Veränderungen sind eher subtil.“

„Versuch trotzdem, das Ganze in Worte zu fassen. Vielleicht hilft es ja.“

„Bitte nicht jetzt. Du weißt, was der Psychoheini gesagt hat. Ich soll mir das tagsüber in Erinnerung rufen, um die eingeschliffenen Pfade zu verändern. Die Methode hat bei mir zwar nie gewirkt, aber es ist einfacher für mich, es im Hellen zu beschreiben, sonst flippe ich nachher ganz aus, falls ich erneut einschlafe.“

„Na gut. Morgen entkommst du mir jedoch nicht. Du hast vormittags nur vier Fahrschüler, also kannst du gegen 14 Uhr bei mir erscheinen. Tobi und die Kids wollen ins Freibad, somit haben wir viel Zeit, um ungestört zu reden.“

Ich nicke zustimmend, auch wenn mir der Gedanke, den Horror meiner Traumphasen zu beschreiben, schon jetzt eine Gänsehaut verursacht.

„Schlaf gut, kleine Schwester und danke für dein promptes Erscheinen.“

Sie verpasst mir einen kräftigen Knuff in die Seite. Bibi hasst es wie die Pest, wenn man sie ‚klein‘ nennt. Dabei ist sie genau das. Bei einer Körpergröße von 1,62 m reicht sie mir gerade bis zur Brust.

„Frecher Kerl“, mault sie, wirft zickig den Kopf in den Nacken und entschwindet.

„Ich liebe dich auch!“, rufe ich ihr schmunzelnd nach.

~*~

Meine erste Amtshandlung, nachdem Bibi die Wohnungstür hinter sich geschlossen hat, ist, das Stövchen samt Teekanne in die Küche zu tragen und das Lavendelgebräu zu entsorgen.

Ehe ich die kaum angerührte Teetasse ebenfalls aus dem Wohnzimmer hole, stelle ich einen Becher unter den Kaffeeautomaten und drücke den Knopf für einen doppelten Espresso.

Irgendwie werde ich verhindern, erneut unfreiwillig ins Traumland zu stolpern, selbst wenn ich dafür meinen Blutdruck in schwindelerregende Höhen treiben muss.

Mit der dampfenden schwarzen Brühe sinke ich in meinen bequemen Sessel. Dort ist die Gefahr einzuschlafen nicht so groß, wie auf dem Sofa.

Kopfhörer auf, eine Disturbed-CD einlegen und die Lautstärke auf maximal.

Auch wenn ich mich voll auf den Text konzentriere, das Wispern der ängstlichen Stimmen in meinem Kopf kann ich nicht ignorieren. Das Gespräch mit Bibi hängt wie ein Damoklesschwert über meinem Haupt.

Ich drifte ab. Die Musik verkommt zu einem wilden Crescendo, das die Empfindungen, die meine Alptraumwelt beherrschen, nur noch unterstreicht.

Deutlich sehe ich den endlos langen Korridor vor mir, der sich in der Ferne immer mehr zusammenzieht. Helles Licht am Ende des Ganges verspricht Hilfe – Freiheit – Entkommen. Ich renne, gebe alles, was an Kraft und Energie in mir steckt, trotzdem bleibt das ungute Gefühl, mich keinen Millimeter von der Stelle zu bewegen.

‚Lauf, Denno, lauf!‘, brüllt es tief in mir. Meine Lunge brennt, Adrenalin pumpt das Blut wie kochende Lava durch meine Adern. Mein Herz rast, will vor Angst aus meiner Brust springen.

So weit, so schlecht. Dieses Szenario kenne ich, seit ich zum ersten Mal mit diesem Traum konfrontiert wurde.

Als Kind bin ich nur gerannt, wusste nie, warum ich das tue, wovor ich weglaufe.

Mit 14 ungefähr traten die ersten Veränderungen ein. Der Korridor bekam Türen, aus denen undefinierbare Geräusche drangen, die mir die schrecklichsten Bilder vorgaukelten, sollte ich es wagen, einen der dahinterliegenden Räume zu betreten.

Nachdem ich mein Abi gemacht hatte, wandelte sich der Traum erneut. Ich hörte das Stampfen schwerer Stiefel auf hartem Beton, die Türen wiesen Sichtfenster auf. Wabernder Nebel, orangerote Flammen, absolute, undurchdringliche Schwärze. Aus dem Nebel drang gequältes Stöhnen, das Prasseln des Feuers wurde von schrillen Schmerzensschreien untermalt, die Dunkelheit verströmte Panik, die meine Haut wie Peitschenhiebe durchdrang und sich in meinem Kopf manifestierte.

Vereinzelte Sichtfenster gaben den Blick auf Treppenhäuser frei, deren Stufen wahlweise nach oben oder in die Tiefe führten.

Irgendwann nahm ich allen Mut zusammen, riss eine Tür auf und folgte dem Weg nach unten. Meine Hoffnung, dort einen Ausgang aus dem gruseligen Gebäude zu finden, erstarb schlagartig. Genau, wie der endlose Gang mich zu keinem Ziel führte – die Stufen brachten mich ebenfalls nicht weiter.

Ein hastiger Blick über das Treppengeländer bestätigte meine Horrorvision – das Treppenhaus führte ins Nichts, die Stufen verschwanden in für das Auge undurchdringlichen Schatten.

Viele Wochen später versuchte ich mein Glück in die andere Richtung – nach oben. Doch der Effekt blieb der gleiche. Keine Abzweigung, keine Tür, die mich auf eine neue Etage führte.

Bis vor drei Wochen blieb alles beim Alten. Ich floh weiter den Gang entlang, hörte die polternden Schritte meiner Verfolger und fürchtete mich halbtot.

In einer folgenschweren Sonntagnacht, ich war nach ein paar Gläsern Wodka-Cola vor dem Fernseher eingeschlafen, änderte sich mein Alptraum zu einem echten Szenario des Schreckens.

Mit pfeifenden Lungen rannte ich den Korridor entlang. In meinem Kopf manifestierte sich der Eindruck, dass das Stampfen der schweren Stiefel näher kam.

Sollte ich? Sollte ich nicht? Ich brauchte Gewissheit. Anhalten – den Kopf wenden – einen hastigen Blick riskieren.

Großer Fehler!!!!!

Panisch stolperte ich weiter. Eine graue Substanz bewegte sich auf mich zu, in der sich Umrisse nur schemenhaft ausmachen ließen. Fünf oder sechs Gestalten, genau konnte ich es nicht erkennen. Sie waren nur noch ein paar Dutzend Schritte entfernt.

Doch es wurde noch schlimmer!

Hinter dem grauen Nebel erhob sich eine schwarze undurchdringliche Masse.

In meinem Kopf erklang eine Stimme. Falsch. ‚Stimme‘ konnte man das Geräusch nicht nennen.

Es hörte sich an, als ziehe jemand seine Fingernägel über eine Schiefertafel. Es schüttelte mich, Gänsehaut kroch über meinen Körper, nicht nur wegen des ekelhaften Kreischens. Aus dem Schrillen wurden Worte, die mich dazu brachten, all meine Kraftreserven zu mobilisieren, um wieder mehr Abstand zwischen die graue Masse und mich zu bringen.

‚Bald habe ich dich. Du wirst sterben. Ich werde in deinem Blut baden.‘

Entsetzt springe ich aus dem Sessel.

Ich habe nicht geschlafen. Warum fühlt es sich trotzdem so an, als wären die Sätze gerade real gesprochen worden?

Panisch drehe ich mich um meine eigene Achse, scanne jede Zimmerecke und reiße mir hastig die Kopfhörer runter.

Nichts!

Erleichterung will sich allerdings nicht einstellen, im Gegenteil.

Zunächst haste ich durch alle Räume und schalte überall die Deckenbeleuchtung ein. Das grelle Licht schenkt mir ein wenig Sicherheit.

Während ich in der Küche darauf warte, dass ein frischer Espresso in meine Tasse läuft, denke ich über meinen Geisteszustand nach.

Verliere ich den Verstand? Soweit ich weiß, gab und gibt es in meiner Familie keinen Fall von Geisteskrankheit.

Hm, vielleicht bin ich ja der Erste? Als normal gehe ich wohl kaum noch durch, wenn mein Alptraum mich jetzt schon im Wachzustand heimsucht.

Vielleicht könnte ich diesen Traum besser wegstecken, wenn ich hin und wieder etwas Normales oder Schönes träumen würde. Aber Nacht für Nacht das gleiche Szenario zu erleben, besser gesagt zu erleiden, ist nach dreißig Jahren einfach nur zermürbend.

Ich bin das alles so leid. Mein Leben kotzt mich einfach nur noch an. Einzig das Wissen, welchen Schmerz ich meinen Eltern und Bibi samt Familie zufügen würde, hält mich davon ab, meine elende Existenz auszulöschen.

Seufzend schnappe ich meine Tasse und lasse mich erneut im Sessel nieder. Naja, wenn ich es mir recht überlege, muss ich gar nicht selbst Hand anlegen, ich muss einfach nur abwarten. Auf Dauer wird mich der Schlafmangel schon umbringen.

Wie lange kann ein Mensch ohne Schlaf überleben? Ich hab keine Ahnung, sollte ich bei Gelegenheit mal googeln.

Morgen, bei meinem Gespräch mit Bibi, muss ich extrem vorsichtig sein, damit mir nicht unabsichtlich solch eine Bemerkung entwischt.


© Gerry Stratmann / Nathan Jaeger / Gay-fusioN GbR

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