Mittwoch, 10. November 2021

Leseprobe - Jahreszeiten Herbst

  Leseprobe

ZANKÄPFEL ERNTET MAN AUCH IM HERBST

 

EINE KURZGESCHICHTE BASIEREND AUF

 

ZWEIFEL IN WORTEN

 

VON

 

 

NATHAN JAEGER
 
VORWORT

 

Gabriel, Frank und Sam, das Trio aus ‚Zweifel in Worten‘, gibt sich in dieser Kurzgeschichte die Ehre.

Der Text spielt einige Monate nach dem Ende des Romans, man muss jenen aber nicht gelesen haben, um diesen Text zu verstehen.

 

Viel Spaß damit!

~*~

 


 

Frank sah lachend den Waldweg entlang und lehnte sich an den blonden Hünen, bei welchem er sich untergehakt hatte. Kornblumenblaue Augen blitzten ihm belustigt entgegen, als er den Blick zu dem Mann an seiner Seite hob.

„Gabriel, bist du sicher, dass dir der Kerl nicht irgendwann mal vom Bahnhof aus nachgelaufen ist?“, fragte er japsend und erntete einen leichten Rempler.

Gemeinsam wandten sie sich wieder dem Schauspiel vor ihnen zu.

Herbstlaub in allen Schattierungen zwischen Hellgelb und Tiefrot stob über den Waldweg, verteilte sich herabregnend, legte sich auf Mantelkrägen und Mützen.

„Sammy, wenn du nicht aufpasst, wird irgendein Jäger dich wegen ‚Verschreckung von Wildtieren‘ verhaften lassen!“

Der Mann mit dem weißblonden Haar unterbrach seinen kickenden Gang durch aufgetürmte Laubhaufen am Wegesrand und drehte sich um.

„Das muss so! Diese Blätter schreien doch geradezu danach, dass man sie hochtritt. Immerhin sind wir im Wald, da muss ein Weg nicht wie gefegt aussehen.“ Sams Rechtfertigung klang theatralisch-ernsthaft, was seine Verfolger zu erneutem, gutmütigem Lachen reizte.

Frank liebte die verrückte Art von Sam ebenso wie die tiefgründige Ernsthaftigkeit von Gabriel. Beide konnten im Bedarfsfall durchaus auch anders handeln und reagieren, aber in ihrem Wesen unterschieden sie sich auf eine für ihn perfekte, ergänzende Art.

Er liebte beide. Keinen mehr als den anderen, das hatten auch die vergangenen Monate seit seinem Einzug in die Villa gezeigt.

Alle Zweifel hatten sich zerstreut, waren weggestreichelt, weggeküsst und aus tiefster Überzeugung heraus von ihm selbst zunichtegemacht worden.

Eine Beziehung zu dritt war möglich, das wusste er jetzt ganz genau.

Frank löste sich von Gabriels Arm, ergriff stattdessen seine Hand und zog ihn mit zum nächsten Laubhaufen und dem mittendrin stehenden Sam. Auch dessen Hand schnappte er sich, um mit seinen Stiefeln in einer Art Storchengang durch die raschelnde, rotbunte Blätterpracht zu staksen.

Gabriel tat es ihm gleich, reichte Sam seine freie Hand und in einem enger werdenden Kreis zogen sie sich aneinander, bis Frank sich auf die Zehenspitzten erhob, um an seine Männer heranzureichen.

Ein Kuss für jeden, eine innige, warme und beschützende Umarmung, in die er sich fallenlassen konnte.

Ohne Gedanken an Ängste oder Unsicherheiten.

Eine Geste, die alle drei mit wohligem Brummen quittierten.

„Ist euch eigentlich klar, wie viel Glück wir haben?“, flüsterte Sam und nun war nichts Albernes oder Überzeichnetes mehr in seinem Ton.

„Ja, wahnsinniges Glück“, erwiderte Frank ebenso leise und Gabriel schloss sich mit einem Nicken an.

„Ich liebe euch“, fügte er hinzu und sowohl Frank als auch Sam küssten ihn dafür auf die Wangen.

„Ich euch auch“, kam es stereo aus ihren Mündern.

Diese verbale Liebesbekundung hatte sich zwischen ihnen eingebürgert. Nur selten nutzten sie das klassische ‚Ich liebe dich‘, wenn sie ihre Gefühle in Worte fassten. Ebenso war die Erwiderung zu einem Standard geworden.

Sie blieben eine Weile mitten in dem vom aufkommenden Wind raschelnden Haufen Laubes stehen, umschlungen, gewärmt und zusammengehörig.

Ob die Welt Verständnis für ihre Beziehung hatte, war Frank vollkommen egal. Er selbst hatte einige Zeit gebraucht, um schlussendlich zu begreifen, wie gut diese ungewöhnliche Liebe zu dritt funktionierte.

~*~

Wieder an seinem Jeep angekommen, schüttelte Gabriel letzte Laubreste von Mantel und Schal, bevor er sich auf den Fahrersitz fallenließ.

Frank und Sam spielten Stein-Schere-Papier darum, wer den Beifahrersitz ergatterte, damit auch sie sich wenig später zu ihm in den Wagen setzen konnten.

Das alberne Lachen beider klang wohlvertraut und so angenehm in Gabriels Ohren, dass er einen warmen Schauder nicht unterdrücken konnte.

„Ich für meinen Teil“, bekundete Frank, der den Platz neben ihm gewonnen hatte, „würde lieber hinten mit Sam kuscheln, weil mir gleich was abfriert.“

Sams kicherte fröhlich, bevor er auf der hinteren Sitzbank weiter durchrutschte, und Frank neben ihn glitt.

Gabriel beobachtete die zwei im Rückspiegel und ertappte sich bei einem leicht debilen Grinsen, das man ansonsten eher Schwangeren beim gedankenverlorenen Streicheln ihres Babybauches nachsagte.

„Schnallt euch an, damit das Kaminfeuer nicht noch länger auf uns warten muss.“

Die gesamte Fahrt über kreisten Gabriels Gedanken um die vergangenen Monate. Seit Ende April lebten sie schon zu dritt in der Villa in Steglitz, mittlerweile war es Ende Oktober.

Noch immer konnte er es nicht erklären, aber durch die Schnapsidee, eine Internetannonce aufzugeben, hatten sie Frank gefunden – oder er sie, wie man es sehen wollte.

Nach einigem Hin und Her, E-Mails und Telefonaten, hatten sie sich getroffen und im Laufe weniger Wochen gemerkt, dass nichts jemals wieder so sein würde wie früher, als er und Sam ein Paar gewesen waren.

Frank hatte ihnen gegeben, was sie gebraucht, aber zu keinem Zeitpunkt vermisst hatten. Verrückt, einfach unerklärlich, aber genau deshalb so real in Gabriels Gefühlswelt verankert.

Er hatte sich in Frank verliebt, ohne dass seine innige Liebe für Sam darunter gelitten hatte. Ebenso war es Sam ergangen. Sie beide hatten recht schnell begriffen, wie wichtig Frank für sie war, doch ebendieser hatte seine Zweifel und Ängste erst spät überwinden können. Beinahe zu spät …

Aber nun waren sie hier, zusammen, glücklich. Ein Gefühl, welches Gabriel um keinen Preis missen wollte.

Doch nicht nur ihre Beziehung zu dritt war ‚passiert‘, auch andere, sehr negative Dinge, die innerhalb der Firma und im Freundeskreis für großen Kummer gesorgt hatten.

Ein Seufzen entkam ihm, als er an Colin dachte. Mitte Mai verschollen, unauffindbar bei einem Observationsauftrag verlorengegangen. Sondereinheiten suchten nach ihm, bis vor kurzem hatte auch sein bester Freund Vittorio nicht aufgeben wollen.

Niemand sah sich in der Lage zu glauben, dass er tot war, doch gab es seit dem Fund von Colins Wagen keine Hinweise mehr zu seinem Verbleib.

Eine Hand legte sich auf Gabriels rechte Schulter, drückte sacht zu. „Woran denkst du, Engel?“

Gabriel schluckte. „Colin.“ Seine Stimme erstickte schon bei diesem einen Wort.

Seufzen von der Rückbank und ein weiteres Zudrücken an seiner Schulter waren die Antwort.

Natürlich, Sam und Frank kannten alle Mitarbeiter, die auch zu Gabriels engerem Kreis gehörten. Und Colin war der Zwillingsbruder von Sams bester Freundin Teras.

„Vielleicht werden wir ihn irgendwann finden“, murmelte Sam, doch er klang genauso frustriert, wie Gabriel sich fühlte.

Hilflosigkeit konnte erdrückend sein. Was nützte es, die am besten organisierte Detektei Europas zu besitzen, wenn man einen verschollenen Mitarbeiter und sehr guten Freund nicht wiederfinden konnte?

„Ihr wisst, dass das niemandem hilft“, befand Frank in seiner von Logik und Realismus geprägten Art. Auch wenn es im ersten Moment hart klang, hatte er recht. „Wir können jetzt alle monatelang in Starre verfallen, aber auch das wird ihn nicht zurückbringen. Was jetzt zählt, sind die noch Anwesenden. Vito leidet wie ein Tier unter dem Verlust und Teras ergeht es, hochschwanger, auch nicht besser. Erik und Luke brauchen Hilfe. Das sind die Dinge, um die wir uns kümmern sollten, solange die Suchtrupps unterwegs sind.“

„Du hast recht, Frank“, brachte Gabriel heraus und nickte, als müsse er sich die Worte in den Kopf schütteln, an die richtigen Stellen rücken.

„Niemand sagt, dass es leicht wird, aber wir können es für die Genannten leichter machen. Das liegt besonders in deiner Hand, Engel.“ Eine zweite Hand streifte Gabriels Nacken, liebkoste die von einer Gänsehaut überzogene Stelle unterhalb seines Ohres.

Unwillkürlich lehnte er sich in die Berührung und wollte die Augen schließen. Während der Fahrt undenkbar.

„Vor einer Weile hat Teras mir gesagt, wie abartig sie mein Selbstmitleid fand … Wenn ich nur wüsste, wie wir ihr helfen können!“

„Das können wir nur, indem wir als Freunde da sind“, fügte Sam hinzu.

Gabriel bog wenig später in die Einfahrt vor der Villa und betätigte das große Metalltor, um auf den Hof zu fahren.

Er schaffte es kaum, aus dem Auto zu steigen, weil Frank und Sam bereits bei ihm waren, um ihm die Stärke zu geben, die er brauchte.

In seiner Verantwortung war einer seiner besten Freunde möglicherweise gestorben. Ja, er kannte das Risiko seit Langem, fürchtete immer wieder um Sam, wenn er diesen zu einem Auftrag mitnahm oder sendete.

Gabriel erwiderte die Umarmungen mit einem tiefen Seufzen auf den Lippen.

„Ohne euch würde ich das nicht aushalten. Auch wenn Teras mir nie die Schuld gegeben hat, ich selbst gebe sie mir.“

„Wir sind doch da … Und ich denke immer noch, dass ich eingeweiht werden sollte.“ Franks Worte ließen Gabriel einfrieren, wie das Wasser einer zu lange im Eisfach liegenden Flasche beim Aufdrehen erstarrte.

„Niemals!“, zischte er und Sam räusperte sich.


© Gerry Stratmann / Nathan Jaeger / Gay-fusioN GbR

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