Mittwoch, 10. November 2021

Leseprobe - Jahreszeiten Sommer

  Leseprobe

Custom Painting mit Würze

 

von Gerry Stratmann

Im Oktober 2012 in ‚Kräutercode‘ – einer Anthologie des Incubus Verlags – erstmalig erschienen.

Hier jetzt die komplett überarbeitete, längere Version.


 

Zwischen zusammengepressten Zähnen entlasse ich vorsichtig den Atem aus meiner Lunge.

Fast hätte ich die Hand verrissen, weil mein Kumpel Jörg wütend seine Farbpistole durch die Werkstatt pfeffert. Das Motiv, an dem ich arbeite, wäre damit versaut gewesen.

Genervt ziehe ich den Mundschutz herunter. „Alter, mach hier nicht so ’ne Welle, ich versuche konzentriert zu arbeiten. Was ist denn los?“

„Musste der Kunde sich unbedingt diese aufwendigen Totenköpfe aussuchen? Samstag früh startet mein Flieger, bis dahin werde ich mit dem Mist niemals fertig!“, schimpft er und blickt frustriert zu mir rüber.

Ich lege die Airbrushgun zur Seite und gehe zu Jörgs Arbeitsplatz. Mein Kollege, Freund und gleichzeitig Mitinhaber unserer kleinen Firma für Custom Painting hat recht. Es ist nicht drin, in der Zeit, die ihm noch zur Verfügung steht, den Tank und die Schutzbleche der Harley fertigzustellen.

„Die Fender schaffst du locker bis Freitag. Um den Tank kümmere ich mich ab morgen. Mit den Snakes an der Kawa bin ich so gut wie durch. Bleiben nur die Motorhauben der beiden Autos. Wie du weißt, sind die Besitzer zwei Wochen in Urlaub, also können die noch ein paar Tage liegenbleiben. Ich habe genügend Zeit, deine Arbeit zu übernehmen.“

„Rainer, du hast eine ganz andere Technik als ich. Denkst du, der Auftraggeber bemerkt den Unterschied nicht?“ Skeptisch schaut er mich an.

„Das glaubst du doch selbst nicht. Die Kunden haben keinen Blick für solche Kleinigkeiten, wenn sie ihre glänzenden Prachtstücke in Empfang nehmen.“

Grinsend knuffe ich meinem zweifelnden Freund den Ellenbogen in die Rippen. „Lassen wir es einfach drauf ankommen.“

„Auf deine Verantwortung. Allerdings war der Typ schon bei der Auftragserteilung ein richtiges Ekelpaket. Ich fand ihn extrem unfreundlich und unhöflich. Weißt du noch, wie der sich angestellt hat? Wir sollen sein Baby bloß gut behandeln und keinen Kratzer hinterlassen!“

Oh ja! Seufzend erinnere ich mich an den Kerl.

Mir wäre fast die Kinnlade auf den Arbeitstisch geknallt, als er durch die schmale Werkstatttür herein kam.

Ich bin nicht gerade klein geraten, aber dieser Mann überragte mich um gute zehn Zentimeter. Breite Schultern, schmale Hüften, dazu ein herrisches Auftreten. Für sein Alter, ich schätzte ihn auf Mitte bis Ende dreißig, sah er verdammt geil aus.

Allein der Gedanke an den knackigen Hintern in der engen Lederhose bringt mein Blut erneut in Wallung. Energisch dränge ich die viel zu lebhaften Bilder beiseite.

Ehe ich den Rückweg antrete, werfe ich Jörg einen strengen Blick zu.

„Falls durch deinen Wutausbruch die Spritzpistole im Arsch ist, zahlst du das aus eigener Tasche. Als Versicherungsschaden lasse ich das jedenfalls nicht gelten.“

„Geizkragen“, murmelt er sich in den Bart, was mir ein belustigtes Kichern entlockt.

Widerwillig widme ich mich den abschließenden Arbeiten am Tank der Kawasaki.

Deren giftgrüne Originalfarbe bildet auf Wunsch des Kunden weiterhin den Untergrund. Inzwischen habe ich ein Wirrwarr miteinander verwobener Schlangenkörper darüber gesprayt. Die Biester schillern in allen Farben des Regenbogens.

Jeder Farbwechsel hat mich Überwindung gekostet, den mein Körper zusätzlich mit angewidertem Schütteln begleitete. Wie kann man das Aussehen dieser schönen Maschine nur so verschandeln?

Mit Engelszungen habe ich auf den Besitzer eingeredet, aber er ließ sich einfach nicht davon überzeugen, dass es für diese Karre erheblich geschmackvollere und passendere Motive gibt.

Na ja, des Menschen Wille ist sein Himmelreich, und ich muss mit dem Teil schließlich nicht auf die Straße.

~*~

Vor knapp zwei Jahren haben mein bester Freund Jörg und ich uns selbstständig gemacht. Seitdem war ich schon häufig gezwungen, grauenvolle Kundenwünsche zu erfüllen. Man sollte meinen, ich hätte mich inzwischen damit abgefunden. Leider ist das nicht der Fall.

Bei Autos lässt es mich verhältnismäßig kalt, aber wenn ich Motorräder so verunstalten muss, geht mir das gehörig gegen den Strich.

Ich liebe Motorräder! Sie sind meine große Leidenschaft. Dazu kommen meine künstlerische Ader und die nicht enden wollende Fantasie, wie man die heißen Teile optisch aufmotzen kann. Sobald ich Fahrer und Zweirad zusammen sehe, sprudeln die Ideen hervor wie aus einem Geysir.

Zu meinem Leidwesen kommen die meisten Kunden mit bestimmten Vorstellungen und lassen sich nur schwer wieder davon abbringen. So wie der Fahrer der Kawasaki.

Unsere Firma ist finanziell noch nicht so gut gestellt, dass Jörg oder ich es uns leisten können, bestimmte Aufträge abzulehnen.

Hoffentlich spricht sich weiter herum, dass wir Qualität zu annehmbaren Preisen liefern, dann bin ich bald nicht mehr gezwungen, gegen meine Überzeugung zu handeln.

Endlich sind die letzten Farbhighlights gesetzt, und ich betrachte mein Werk von allen Seiten. Obwohl ich bei dem Motiv immer noch kotzen möchte, ist mir die Arbeit sehr gut gelungen.

Jetzt muss noch der schlag- und kratzfeste Lack aufgesprayt werden. Über Nacht wird die Versiegelung ausreichend trocknen, damit ich die Maschine wieder zusammenbauen kann.

Ich gehe ins Büro, um mit dem Kunden telefonisch einen Abholtermin zu vereinbaren. Bevor ich mein Vorhaben in die Tat umsetzen kann, kommt ein Anruf herein.

„Metallic Paint, Rainer am Apparat.“

„Marcel hier. Ich will wissen, wann meine Harley fertig ist.“

Boah, der hat vielleicht einen herrischen Ton am Leib.

Arschloch! Geht es vielleicht noch arroganter?

Meine Finger schließen sich vor Wut fest um den Hörer. Das Plastikmaterial knirscht und knackt protestierend unter der brutalen Behandlung.

„Vor Montag wird das nichts. Du hast dir ein extrem aufwendiges Motiv ausgesucht, das erfordert Präzisionsarbeit. Wenn du mit hingerotzter Arbeit zufrieden bist, musst du dir eine andere Firma suchen.“

Mir ist absolut klar, dass ich mich gerade nicht kundenfreundlich verhalte, aber dieser Kerl geht mir gehörig auf die Eier. Kann er nicht höflicher fragen?

„He Mann, fürs Wochenende habe ich eine Tour geplant, dafür brauche ich mein Baby! Wenn ihr nicht in der Lage seid, anständig und schnell zu arbeiten, stellt mir gefälligst eine andere Karre zur Verfügung!“

Der ist wohl nicht ganz frisch in der Birne!

„Ich betreibe hier keine Verleihfirma! Wir rufen an, wenn deine Maschine fertig ist!“

Mit laut gebrülltem „Fuck!“ knalle ich den Hörer auf.

„Oh, war das Mister Macho, den du so angeblafft hast?“, ruft Jörg aus der Werkstatt rüber.

Sein Gesicht muss ich gar nicht sehen, das fette Grinsen trieft aus jedem Wort.

Wütend stapfe ich um den Schreibtisch herum und lasse mich in den alten, quietschenden Drehstuhl fallen.

„Dieser Wichser verlangt fürs Wochenende eine Leihmaschine, damit er sich on the Road vergnügen kann. Was denkt der, wer wir sind? Blöder Idiot! Arrogantes, eingebildetes Arschloch! Der kann mich mal!“ Mit jedem Wort werde ich lauter, schreie am Ende fast.

Ich streiche mir fahrig durch die Haare, zwinge mich, tief durchzuatmen.

Warum bringt mich dieser Kerl nur so aus der Fassung? Ich neige nicht zu solchen Temperamentsausbrüchen. Jörg ist eher der aufbrausende Teil unseres Gespanns.

Mein Kompagnon, dieser hinterhältige Sack, hat sich leise herangeschlichen.

Lässig gegen die Türzarge gelehnt, die Hände vor der Brust verschränkt, verpasst er mir feixend eine Breitseite.

„Rain kann es sein, dass dir der Typ unter die Haut geht?“

Gleich drehe ich ihm den Hals um! Hoffentlich erstickt er an seinem dämlichen Kichern. Der Mistkerl weiß genau, dass ich es wie die Pest hasse, wenn er meinen Namen so verunstaltet.

„Vom Aussehen passt er genau in dein Beuteschema. Allerdings bezweifle ich stark, dass Mister Macho sich dominieren lässt. Vorausgesetzt er ist überhaupt schwul.“ Lachend klopft sich Jörg, zur Krönung seiner Rede, auf die Schenkel.

„Hast du nichts Besseres zu tun, als mich zu verarschen? Ab an deine Fender oder dein Urlaub ist gestrichen“, fauche ich.

Lachend trollt er sich. Er kennt mich und weiß, dass mein Spruch nicht ernst gemeint ist.

Ich bleibe noch einen Moment sitzen und sortiere meine Gedanken.

Wenn ich ehrlich zu mir bin, muss ich mir eingestehen, dass mein Freund den Nagel auf den Kopf getroffen hat. Allerdings werde ich den Teufel tun, das laut auszusprechen.

Rein optisch ist Marcel wirklich genau meine Kragenweite, abgesehen von seiner Arroganz. Ich ziehe die sanften, anschmiegsamen Jungs vor. Nebenbei ist der Kerl auch viel zu alt. Schließlich bin ich gerade erst fünfundzwanzig geworden.

Der Mann hat mich nur so beeindruckt, weil ich schon ewig keinen Sex mehr hatte, rede ich mir zur Beruhigung ein.

Seit Jörg und ich die Firma gegründet haben, besteht mein Leben nur noch aus Arbeit. Hocke ich nicht in der Werkstatt, kümmere ich mich um den Bürokram.

Ich kann mich kaum erinnern, wann ich das letzte Mal auf der Piste war, um einen willigen Partner zu finden.

Das muss ich noch heute ändern. Es wäre mehr als peinlich, wenn ich wegen dieses Wichsers beim nächsten Zusammentreffen anfange zu sabbern.

Ein kurzer Blick zur Uhr zeigt, dass es fast siebzehn Uhr ist. Jetzt aber flott an die Arbeit, damit ich zeitig nach Hause komme.

Ich bin fast an der Tür, als mir einfällt, dass ich den Besitzer des Schlangenmonsters noch anrufen muss.

Wir vereinbaren einen Termin für morgen Nachmittag, anschließend mache ich mich endgültig an die Lackierung der Kawa.

Beiläufig setze ich Jörg davon in Kenntnis, dass ich heute nicht bis in die Puppen in der Werkstatt bleiben will, da ich noch etwas vorhabe.

Kurz wendet er sich mit wissendem Grinsen zu mir um, was ich geflissentlich übersehe.

„Super! Dann kann ich schon einige Urlaubsvorbereitungen treffen.“

Ich nicke zustimmend und drücke auf den Knopf der Sprühpistole.

Es wird trotzdem fast zwanzig Uhr, ehe ich die Werkstatt abschließe.

Wir haben die Abschlussbesprechung wichtiger firmeninterner Dinge vorgezogen. Dadurch kann Jörg sich morgen voll auf die Arbeit konzentrieren.

Sobald die Fender fertig sind, will er verschwinden. Sein Flug geht Samstag in aller Frühe und mir ist klar, dass er vorher zuhause noch eine Menge zu tun hat.

Seit über zwei Jahren hat keiner von uns mehr richtig Urlaub gemacht. Höchstens ein verlängertes Wochenende, wenn die Nerven einfach nicht mehr mitspielen wollten. Daher gönne ich ihm die 14-tägige Auszeit von Herzen.

Sollten keine ernstzunehmenden geschäftlichen Schwierigkeiten auftreten, werde ich im Winter zum Skilaufen fahren, um selbst etwas zu entspannen.

~*~

Zuhause angekommen falle ich wie ein hungriger Wolf über meinen Gefrierschrank her.

Mist! Darin befindet sich nur noch Fertigfutter. All meine selbst gekochten Mahlzeiten sind aufgebraucht.

Notgedrungen entscheide ich mich für ein indisches Hähnchen-Curry.

Zähneknirschend fülle ich den Packungsinhalt auf einen Teller und schiebe ihn in die Mikrowelle.

Bis das Zeug heiß ist, habe ich Zeit, im Schlafzimmer abzutauchen und mich ausgehfein zu machen.

Obwohl es für meine Verhältnisse schon recht spät ist, halte ich an dem Vorhaben fest, auf Tour zu gehen.

Der Gedanke an schnellen, unverbindlichen Sex lässt mich nicht mehr los, und ohne Druckabbau finde ich keine Ruhe. Handbetrieb wird mir heute allerdings nicht die gewünschte Entspannung liefern.

Nur gut, dass ich einige Lokale kenne, in denen sich auch an Wochentagen willige Partner finden lassen.

Geduscht habe ich in der Firma, aber rasieren muss ich mich noch. Ein Blick in den Spiegel und ein prüfender Handstrich über die Intimzone zeigen, dass eine Ganzkörperrasur angesagt ist.

Verdammt! Wenn ich es schon mal eilig habe. Aber so ungepflegt mische ich mich nicht unters Volk.

Was bleibt mir also übrig? Einschäumen, rasieren, danach noch mal unter die Dusche, um die restlichen Spuren abzuwaschen.

Ich bin stolz auf meine Geschwindigkeit. Pünktlich zum dezenten Klingeln der Mikrowelle werfe ich die nassen Handtücher in den Wäschekorb.

Nackt haste ich in die Küche und probiere das Curry.

Pfui Teufel! Das Zeug ist völlig geschmacklos. So kriege ich das nicht durch den Hals.

Rasch durchsuche ich das Gemüsefach des Kühlschrankes und finde zu meiner großen Freude noch eine Ingwerwurzel.

Unter Zuhilfenahme einer feinen Reibe verteile ich eine hauchdünne Schicht über meinem Essen. Jetzt ist das Futter wenigstens halbwegs genießbar.

Ich liebe Ingwer! Damit kann man jede Speise aufpeppen oder ihr einen besonderen Touch verpassen. Daher habe ich fast immer eine frische Wurzel im Haus.

Am Samstag ist auf jeden Fall ein Großeinkauf fällig.

Zwar stehe ich dann den ganzen Sonntag in der Küche, aber mein Gefrierschrank wird wieder mit eigenen Kreationen gefüllt sein.

Kochen ist neben Motorrädern meine zweite große Leidenschaft.

Auf Fertiggerichte greife ich nur im Notfall zurück. Manchmal bleibt mir jedoch nichts anderes übrig.

Oft komme ich einfach zu spät aus dem Betrieb, da fehlt mir dann die Zeit, mich in die Küche zu stellen, um etwas Frisches zuzubereiten.

© Gerry Stratmann / Nathan Jaeger / Gay-fusioN GbR

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