Kapitel 6
Einkauf mit Cafébesuch
Der Dienstag ist schneller da als mir lieb ist.
Das Wochenende mit Nooa war wie immer sehr lustig und
entspannt. Wir haben uns zwei Edgar-Wallace-Filme angesehen. Allerdings liefen
sie mehr im Hintergrund, quasi als Geräuschkulisse, da wir sie schon etliche
Male gesehen haben.
Eine meiner externen Festplatten ist angefüllt mit Schwarzweißfilmen
aus den 50er und 60er Jahren. Angefangen bei Serien wie Charlie Chan über die Hollywoodschinken
bis zu Klassikern wie Alfred Hitchcock.
Meine Oma hat die Liebe zu diesen alten Streifen in mir
geweckt.
Nach heutigen Gesichtspunkten sind sie billig gemacht, aber man
kann beim Zuschauen herrlich entspannen und sich schlapplachen.
Nooa hat im Laufe des Abends eine halbe Flasche ‚Crown
Royal‘ vernichtet.
Ich kann dem kanadischen Whiskey nichts abgewinnen, daher
habe ich mich lieber an Mineralwasser und Root Beer gehalten. Außerdem ist es
nicht lustig, mit einem Brummschädel von meinen Räubern durch die Natur
geschleift zu werden.
Jetzt bin ich für einen Großeinkauf auf dem Weg nach
Yellowknife. In meinem Kühlschrank laufen sich die Mäuse die Pfoten wund und
das Futter für meine Fellnasen wird auch langsam knapp.
Ich habe lange überlegt und auch mit Nooa diskutiert, was
ich kochen könnte. Da nicht genau feststeht, zu welcher Zeit Fabio eintrudelt,
muss es etwas sein, das schnell geht oder sich leicht aufwärmen lässt.
Nach vielem Hin und Her habe ich beschlossen, einen Eintopf
zuzubereiten. Falls der verwöhnte Herr Firmenchef den nicht mag, hat er Pech
gehabt.
Okay, ich gebe zu, es ist die reine Bosheit meinerseits.
Nooa hat für Pizza plädiert, aber damit hätte ich Fabio
bestimmt nicht herausfordern können. Ich habe mich für Linsensuppe entschieden.
Sollte mein Besucher die verweigern, wird er mit Broten vorlieb nehmen müssen.
Mein Ford Ranger XLT rumpelt über die tiefverschneiten Wege
des Fred-Henne-Territorial-Parks. Die von der Zivilisation unberührte
Landschaft strahlt eine göttliche Ruhe aus. Nur vereinzelte Tierspuren im sonst
makellosen Weiß zeugen von Leben.
Es erscheint mir jedes Mal wie ein Frevel an der Natur, dass
ich mit meinen Motorengeräuschen den Frieden störe. Allerdings ist es der einzige
Weg von meinem Haus in die Stadt und ich bin glücklicher Besitzer einer
Sondergenehmigung, die sich auch auf meine Besucher erstreckt.
Nach knapp zwanzig Minuten biege ich in die Old Airport Road
und erreiche über die vom Schnee geräumte Hauptverkehrsstraße innerhalb kurzer
Zeit mein Ziel.
Der riesige Walmart, etwas außerhalb der City gelegen, bietet
alles, was ich benötige, unter einem Dach. Meine Hunde kennen den Ablauf von
zahlreichen Besuchen. Gelangweilt liegen sie auf der offenen Ladefläche des
Pick-ups. Sicherungsleinen verhindern, dass sie auf dem Parkplatz spazieren
gehen und jeden Kunden freudig begrüßen.
Weder brauchen sie einen Befehl noch muss ich meinen Wagen
abschließen. Sollte jemand auch nur versuchen die Hand an den Lack zu legen,
werden Kele und Lonan knurren wie wilde Wölfe. Das schlägt jeden noch so hart
gesottenen Dieb in die Flucht.
Ich stürze mich ins Gewühl. Anscheinend habe ich eine
günstige Zeit erwischt, denn schneller als gedacht ist mein Einkaufswagen
gefüllt und ich bin auf dem Rückweg zum Auto.
Kaum schließen sich die Automatiktüren des Supermarktes
hinter mir, höre ich meine Räuber quietschen und winseln. Nanu! Da muss sich jemand
Bekanntes am Fahrzeug aufhalten.
Schon von weitem erkenne ich die massige Gestalt. Gut zwei
Meter groß, eine mottenzerfressene Waschbärmütze auf dem Kopf – es gibt in ganz
Yellowknife nur eine Person, die so aussieht – Tre, von Tre Browns Café.
Fuck! Eine schnelle Heimfahrt kann ich mir jetzt
abschminken.
Der Riese hat mich auch prompt entdeckt.
„Kjer, hab dein Auto erspäht!“ Dröhnendes Gelächter folgt den
Worten und allein Tres Stimmvolumen fegt einen fast von den Füßen. „Ist aber
auch nicht schwer.“ Erneutes Lachen. „Wer kann diese quietschrote Schüssel
schon übersehen.“
„Tre, das ist ein ganz normales rotes Auto. Und ich verstehe
deine Belustigung auch nach der hundertsten Wiederholung nicht.“
„Haha, du ärgerst dich aber so herrlich, wenn ich auf der
Farbe rumreite. Los, pack dein Zeug weg, dann gehen wir ’nen Kaffee trinken.“
„Ich habe keine Zeit. Heute Abend kommt Besuch und ich muss
noch kochen.“
Eine Riesenpranke greift nach dem 50-Kilo-Sack Hundefutter
und wirft ihn, als handle es sich um eine Tüte Chips, lässig auf den Rücksitz.
„Hurry up!“
Tre ist ein netter Kerl. Man muss diesen tapsigen, lauten
Brummbären schon wegen seiner freundlichen und hilfsbereiten Art liebhaben. Wäre
da nicht seine Ignoranz, die einen manchmal auf die Palme bringt.
Wenn Tre Unterhaltung sucht oder einen zum Kaffee einlädt,
dann hat man Zeit zu haben. Daher überhört er meinen Einwurf auch
geflissentlich.
Ich ergebe mich in mein Schicksal. „Heel!“, erteile ich
meinen Hunden den Befehl mir zu folgen, nachdem ich sie von den Leinen befreit
habe. In Tres Lokal sind Tiere ebenfalls gern gesehene Gäste.
Kele und Lonan hüpfen von der Ladefläche und traben neben
uns her. Sie laufen nicht weg, wenn ich in ihrer Nähe bin. Wir müssen den
kompletten, riesigen Parkplatz überqueren, um zum Café zu kommen.
„Wie geht es deiner Frau und den Kindern?“
„Oh, bestens. Meine Frau hat mich rausgejagt, weil sie den
Laden lieber allein schmeißt. Du kennst sie ja, ich wäre ihr nur im Weg. Die
Jungs sind inzwischen beide in Montreal an der Uni und die Kleine besucht
zurzeit ihre Oma in New York.“
„Soso, du wurdest also vor die Tür gesetzt.“ Ich werfe Tre
einen belustigten Blick zu.
In Yellowknife weiß jeder, dass Tre sich vormittags gerne herumtreibt.
Er klappert täglich zu Fuß die halbe Stadt ab, um überall ein Schwätzchen zu
halten. So erfährt er den neuesten Tratsch und kann ihn später im Café zum
Besten geben.
Sally, Tres Frau, begrüßt mich mit einer stürmischen
Umarmung.
„Hallo Kjer. Hast du den Faulpelz aufgegabelt und bringst
ihn mir nach Hause?“
Sie wendet sich ihrem Mann zu und tätschelt zärtlich seine
Wange. „Mach Kjer einen Latte macchiato, den liebt er doch so sehr.“
„Setz dich, mein Junge“, weist sie mich an, streichelt
meinen Schmusern dabei hingebungsvoll das Fell. „Hält mein Riesenbaby dich von
wichtigen Dingen ab?“
„Du kennst ihn doch. Eine Absage nimmt er nicht hin.“
Lachend lasse ich mich, nachdem ich meine Jacke abgelegt habe, an einem freien
Tisch in der Nähe der Theke nieder.
Ich schaue mich neugierig um und nicke einigen bekannten
Gesichtern grüßend zu. Tre Browns Café ist
ein beliebter Treffpunkt für Hundesportler aus dem ganzen Umkreis. Touristen
sind auch immer zahlreich vertreten, da alle das stadtbekannte Unikum
kennenlernen wollen.
Tre kehrt mit zwei dampfenden Latte und einem Wassernapf für
Kele und Lonan zurück. Seufzend lässt er sich mir gegenüber auf einen Stuhl
plumpsen.
Seine Felljacke, die aussieht, als hätte sie bereits die
Kriege des 18. Jahrhunderts erlebt, hat er inzwischen ausgezogen, der
Mottenspielplatz ziert allerdings immer noch seinen Kopf. Habe ich ihn jemals
ohne dieses Monstrum gesehen? Wohl nicht, da mir absolut nicht einfällt, welche
Haarfarbe Tre hat.
Unsere Gespräche drehen sich immer um die gleichen Themen.
Hunde, Schnee, das passende Wetter für Skijöring und vor allem um die bald
stattfindende Yukon Quest.
Tre hat in jungen Jahren fünf Mal an dem härtesten Rennen
der Welt teilgenommen. Als er Sally kennenlernte, hat er ihr zuliebe darauf
verzichtet.
Seit unserem ersten Treffen liegt er mir in den Ohren, ich
soll wenigstens einmal bei diesem Wettkampf starten. Erst danach wäre ich ein
richtiger Mann und Musher.
„Wie sieht es aus, Junge. Nimmst du im Februar am Rennen
teil?“ Hoffnungsvoll schaut Tre mich an.
„Nein. Im Februar oder März, der Termin steht noch nicht
genau fest, breche ich zu einem Trail auf. Bis dahin stehen verschärftes
Training und jede Menge Vorbereitungen an. Außerdem solltest du wissen, dass
ich mit zwei Hunden nicht am Yukon Rennen teilnehmen kann. Meine Fellnasen
würden das nicht überleben und ich somit auch nicht.“
„Ich habe dir oft genug gesagt, du sollst dir ein richtiges
Rudel zulegen. Aber was planst du für einen Trail? Mit welchen Leuten und wo
wirst du starten?“
Shoot! Ich bin so ein Trottel! Meine vorlaute Klappe war mal
wieder schneller als mein Verstand. Ausgerechnet bei Tre! Der gibt nicht eher
Ruhe, bis ich ihm alles erzählt habe.
Also beiße ich in den sauren Apfel und berichte in groben
Zügen von Light Origins Angebot. Tres
Augen werden beim Zuhören immer größer und ein fettes Grinsen legt sein
gutmütiges Gesicht in Falten.
„Awesome! Da hast du ja ein richtiges Abenteuer vor dir. Junge,
wenn du das geschafft hast, verneige ich mich vor dir und ziehe zur Feier des
Tages den Waschbär vom Kopf.“
Ich frage mich, warum das für ihn so etwas Besonderes ist. Bisher
bin ich zwar noch nie über mehrere Tage allein unterwegs gewesen, aber ein
Risiko, geschweige ein Abenteuer sehe ich dabei nicht.
„Sally, hast du gehört?! Unser Küken wird nächstes Jahr
seine Feuertaufe in Angriff nehmen! Er geht ganz allein auf einen Trail!“
Whoa, danke Tre!
Bei der Lautstärke hat es auch der letzte Gast im Café
mitbekommen. Ich könnte den Kerl erwürgen. Jetzt bleibt mir doch gar keine
Wahl. Ich muss das Angebot annehmen, sonst denken alle, ich wäre ein Feigling
und würde mich nicht trauen.
Kele und Lonan, die bisher entspannt zu meinen Füßen gelegen
haben, springen mit leisem Brummen auf.
Meine Schnüffelnasen haben sehr feine Antennen und merken
sofort, wenn mich etwas aufwühlt. Sie legen ihre Köpfe auf meine Oberschenkel
und schauen mich aus treuen Augen an. Ich kraule sie zwischen den Ohren, murmle
leise, beruhigende Worte.
„Tre, du bist manchmal so ein unsensibler Trottel.“ Sally
zischt ihren Mann empört über die Theke hinweg an.
„Was denn? Kann doch jeder wissen, dass Kjer ein Teufelskerl
ist.“
„Lasst gut sein, ihr beiden. Ich muss jetzt los. Dank dir, Tre,
werde ich heute Abend einem Vertrag zustimmen, von dem ich noch nicht ganz
überzeugt bin.“
Ich verabschiede mich von den Browns und mache mich auf den
Heimweg.
* * * *
Nachdem ich die Einkäufe ins Haus geschleppt und verstaut
habe, muss ich die Hunde fast vor die Tür jagen. Sie schleichen ständig um
meine Beine herum und fiepen leise.
Ich gehe in die Hocke und schlinge jedem einen Arm um den
Hals. Ihre kalten, nassen Nasen stupsen liebevoll an meine Wangen, während sie
ein wohliges Brummen von sich geben.
„Raus mit euch, ihr Räuber. Für heute ist das Training
gestrichen. Tobt euch im Garten aus. Shoo!“
Von rechts und links bekomme ich jeweils einen feuchten
Hundekuss, dann stürmen sie davon.
Sinnierend schaue ich ihnen hinterher. Mein Leben wäre um so
vieles ärmer, wenn ich meine Knutschkugeln nicht hätte.
So, jetzt ums Essen kümmern, dann das Haus auf Vordermann bringen
und danach mich selbst.
Ich habe zwar nicht die Absicht, Fabio zu beeindrucken, aber
mein Ego lässt nicht zu, dass ich wie der letzte Penner aussehe.
Während meiner Putzorgie dröhnt Musik durch alle Räume. So
kann ich diese ungeliebten Tätigkeiten wenigstens halbwegs ertragen. Ich hasse
Hausarbeit! Bei mir ist es zwar nicht dreckig, dafür aber meist ziemlich
unordentlich.
Es ist fast achtzehn Uhr, ehe ich mit allem fertig bin.
Gestiefelt und gespornt sitze ich jetzt hier rum und weiß nicht, wie ich meine
Gedanken im Zaum halten soll.
Ich habe ziemlichen Bammel vor dem Treffen. Was, wenn Fabio
mir dumm kommt? Noch schlimmer – was passiert, wenn ich mit Blicken oder Gesten
meine geheimsten Fantasien verrate?
Fuck! In meinem Kopf spielen sich die wildesten Szenarien
ab.
Um mich abzulenken, bereite ich das Futter für die Hunde
vor. Als hätten sie es gerochen, stürzen sie in den Schuppen. Die Geräusche der
Hundeklappe, die sie von draußen in den Anbau bringt, sind nicht zu überhören.
Wie immer warten sie wohlerzogen, bis ich sie abgetrocknet
habe.
„Na los, Jungs! Heute gibt es was zu fressen, ohne dass ihr
es euch verdienen musstet.“
Mir ist schon klar, dass viele denken, ich habe einen an der
Waffel. Aber ich finde, auch Tiere brauchen Ansprache. Außerdem ist niemand
anderes da, mit dem ich reden könnte.
Für Fabios Hündinnen stelle ich einen zweiten Wassernapf in
den Skiraum. Auf der Terrasse kann ich das Wasser nicht lassen, es würde innerhalb
kürzester Zeit zu Eis erstarren. Immerhin herrscht eine Außentemperatur von minus
27 Grad.
Ich bin sehr neugierig auf die Hundedamen. Auf den Fotos,
die ich gesehen habe, fand ich sie sehr hübsch.
Beide sind überwiegend weiß, eine mit hellgrauen Flecken an
Hals, Brust und Schenkeln, die andere hat hellbraune Zeichnungen am Kopf und
auf dem Rücken.
Ob meine wählerischen Herren sich vielleicht für die
Hundemädchen begeistern lassen?
Farblich passen sie jedenfalls ausgezeichnet zueinander. Der
schneeweiße Kele mit seinen grauen Ohren und der grauen Decke. Eventuell würde er
seine verschiedenfarbigen Augen, eines blau, das andere braun, vererben.
Lonan würde Farbe ins Spiel bringen. Er ist ebenfalls weiß,
hat jedoch eine schwarze Decke und sein Kopf ist überwiegend schwarz mit einer
weißen Maske. Im Gegensatz zu Kele hat er bernsteinfarbene Augen.
Ich fände es sehr spannend, zu sehen, welche Farben sich
durchsetzen und ob sich die gutmütige Art meiner Hunde vererben würde.
Auf jeden Fall werde ich mir die Tiere genau anschauen.
Sollten ihre Erbanlagen gut sein und Fabio sich wirklich als netter Zeitgenosse
entpuppen, werde ich ihn nach einem Deckakt fragen.
Sollte er selbst keine Möglichkeiten haben, einen Wurf
aufzuziehen, würde ich seine Hündinnen gerne für die Zeit übernehmen.
Jesus, ich mache hier Pläne und weiß gar nicht, wie mein
Gespräch mit Fabio überhaupt laufen wird. Manchmal bin ich echt bescheuert.
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