Samstag, 4. Dezember 2021

Leseprobe - White Mountain Trail

 


Kapitel 6

Einkauf mit Cafébesuch

Der Dienstag ist schneller da als mir lieb ist.
Das Wochenende mit Nooa war wie immer sehr lustig und entspannt. Wir haben uns zwei Edgar-Wallace-Filme angesehen. Allerdings liefen sie mehr im Hintergrund, quasi als Geräuschkulisse, da wir sie schon etliche Male gesehen haben.
Eine meiner externen Festplatten ist angefüllt mit Schwarzweißfilmen aus den 50er und 60er Jahren. Angefangen bei Serien wie Charlie Chan über die Hollywoodschinken bis zu Klassikern wie Alfred Hitchcock.
Meine Oma hat die Liebe zu diesen alten Streifen in mir geweckt.
Nach heutigen Gesichtspunkten sind sie billig gemacht, aber man kann beim Zuschauen herrlich entspannen und sich schlapplachen.
Nooa hat im Laufe des Abends eine halbe Flasche ‚Crown Royal‘ vernichtet.
Ich kann dem kanadischen Whiskey nichts abgewinnen, daher habe ich mich lieber an Mineralwasser und Root Beer gehalten. Außerdem ist es nicht lustig, mit einem Brummschädel von meinen Räubern durch die Natur geschleift zu werden.
Jetzt bin ich für einen Großeinkauf auf dem Weg nach Yellowknife. In meinem Kühlschrank laufen sich die Mäuse die Pfoten wund und das Futter für meine Fellnasen wird auch langsam knapp.
Ich habe lange überlegt und auch mit Nooa diskutiert, was ich kochen könnte. Da nicht genau feststeht, zu welcher Zeit Fabio eintrudelt, muss es etwas sein, das schnell geht oder sich leicht aufwärmen lässt.
Nach vielem Hin und Her habe ich beschlossen, einen Eintopf zuzubereiten. Falls der verwöhnte Herr Firmenchef den nicht mag, hat er Pech gehabt.
Okay, ich gebe zu, es ist die reine Bosheit meinerseits.
Nooa hat für Pizza plädiert, aber damit hätte ich Fabio bestimmt nicht herausfordern können. Ich habe mich für Linsensuppe entschieden. Sollte mein Besucher die verweigern, wird er mit Broten vorlieb nehmen müssen.
Mein Ford Ranger XLT rumpelt über die tiefverschneiten Wege des Fred-Henne-Territorial-Parks. Die von der Zivilisation unberührte Landschaft strahlt eine göttliche Ruhe aus. Nur vereinzelte Tierspuren im sonst makellosen Weiß zeugen von Leben.
Es erscheint mir jedes Mal wie ein Frevel an der Natur, dass ich mit meinen Motorengeräuschen den Frieden störe. Allerdings ist es der einzige Weg von meinem Haus in die Stadt und ich bin glücklicher Besitzer einer Sondergenehmigung, die sich auch auf meine Besucher erstreckt.
Nach knapp zwanzig Minuten biege ich in die Old Airport Road und erreiche über die vom Schnee geräumte Hauptverkehrsstraße innerhalb kurzer Zeit mein Ziel.
Der riesige Walmart, etwas außerhalb der City gelegen, bietet alles, was ich benötige, unter einem Dach. Meine Hunde kennen den Ablauf von zahlreichen Besuchen. Gelangweilt liegen sie auf der offenen Ladefläche des Pick-ups. Sicherungsleinen verhindern, dass sie auf dem Parkplatz spazieren gehen und jeden Kunden freudig begrüßen.
Weder brauchen sie einen Befehl noch muss ich meinen Wagen abschließen. Sollte jemand auch nur versuchen die Hand an den Lack zu legen, werden Kele und Lonan knurren wie wilde Wölfe. Das schlägt jeden noch so hart gesottenen Dieb in die Flucht.
Ich stürze mich ins Gewühl. Anscheinend habe ich eine günstige Zeit erwischt, denn schneller als gedacht ist mein Einkaufswagen gefüllt und ich bin auf dem Rückweg zum Auto.
Kaum schließen sich die Automatiktüren des Supermarktes hinter mir, höre ich meine Räuber quietschen und winseln. Nanu! Da muss sich jemand Bekanntes am Fahrzeug aufhalten.
Schon von weitem erkenne ich die massige Gestalt. Gut zwei Meter groß, eine mottenzerfressene Waschbärmütze auf dem Kopf – es gibt in ganz Yellowknife nur eine Person, die so aussieht – Tre, von Tre Browns Café.
Fuck! Eine schnelle Heimfahrt kann ich mir jetzt abschminken.
Der Riese hat mich auch prompt entdeckt.
„Kjer, hab dein Auto erspäht!“ Dröhnendes Gelächter folgt den Worten und allein Tres Stimmvolumen fegt einen fast von den Füßen. „Ist aber auch nicht schwer.“ Erneutes Lachen. „Wer kann diese quietschrote Schüssel schon übersehen.“
„Tre, das ist ein ganz normales rotes Auto. Und ich verstehe deine Belustigung auch nach der hundertsten Wiederholung nicht.“
„Haha, du ärgerst dich aber so herrlich, wenn ich auf der Farbe rumreite. Los, pack dein Zeug weg, dann gehen wir ’nen Kaffee trinken.“
„Ich habe keine Zeit. Heute Abend kommt Besuch und ich muss noch kochen.“
Eine Riesenpranke greift nach dem 50-Kilo-Sack Hundefutter und wirft ihn, als handle es sich um eine Tüte Chips, lässig auf den Rücksitz.
„Hurry up!“
Tre ist ein netter Kerl. Man muss diesen tapsigen, lauten Brummbären schon wegen seiner freundlichen und hilfsbereiten Art liebhaben. Wäre da nicht seine Ignoranz, die einen manchmal auf die Palme bringt.
Wenn Tre Unterhaltung sucht oder einen zum Kaffee einlädt, dann hat man Zeit zu haben. Daher überhört er meinen Einwurf auch geflissentlich.
Ich ergebe mich in mein Schicksal. „Heel!“, erteile ich meinen Hunden den Befehl mir zu folgen, nachdem ich sie von den Leinen befreit habe. In Tres Lokal sind Tiere ebenfalls gern gesehene Gäste.
Kele und Lonan hüpfen von der Ladefläche und traben neben uns her. Sie laufen nicht weg, wenn ich in ihrer Nähe bin. Wir müssen den kompletten, riesigen Parkplatz überqueren, um zum Café zu kommen.
„Wie geht es deiner Frau und den Kindern?“
„Oh, bestens. Meine Frau hat mich rausgejagt, weil sie den Laden lieber allein schmeißt. Du kennst sie ja, ich wäre ihr nur im Weg. Die Jungs sind inzwischen beide in Montreal an der Uni und die Kleine besucht zurzeit ihre Oma in New York.“
„Soso, du wurdest also vor die Tür gesetzt.“ Ich werfe Tre einen belustigten Blick zu.
In Yellowknife weiß jeder, dass Tre sich vormittags gerne herumtreibt. Er klappert täglich zu Fuß die halbe Stadt ab, um überall ein Schwätzchen zu halten. So erfährt er den neuesten Tratsch und kann ihn später im Café zum Besten geben.
Sally, Tres Frau, begrüßt mich mit einer stürmischen Umarmung.
„Hallo Kjer. Hast du den Faulpelz aufgegabelt und bringst ihn mir nach Hause?“
Sie wendet sich ihrem Mann zu und tätschelt zärtlich seine Wange. „Mach Kjer einen Latte macchiato, den liebt er doch so sehr.“
„Setz dich, mein Junge“, weist sie mich an, streichelt meinen Schmusern dabei hingebungsvoll das Fell. „Hält mein Riesenbaby dich von wichtigen Dingen ab?“
„Du kennst ihn doch. Eine Absage nimmt er nicht hin.“ Lachend lasse ich mich, nachdem ich meine Jacke abgelegt habe, an einem freien Tisch in der Nähe der Theke nieder.
Ich schaue mich neugierig um und nicke einigen bekannten Gesichtern grüßend zu. Tre Browns Café ist ein beliebter Treffpunkt für Hundesportler aus dem ganzen Umkreis. Touristen sind auch immer zahlreich vertreten, da alle das stadtbekannte Unikum kennenlernen wollen.
Tre kehrt mit zwei dampfenden Latte und einem Wassernapf für Kele und Lonan zurück. Seufzend lässt er sich mir gegenüber auf einen Stuhl plumpsen.
Seine Felljacke, die aussieht, als hätte sie bereits die Kriege des 18. Jahrhunderts erlebt, hat er inzwischen ausgezogen, der Mottenspielplatz ziert allerdings immer noch seinen Kopf. Habe ich ihn jemals ohne dieses Monstrum gesehen? Wohl nicht, da mir absolut nicht einfällt, welche Haarfarbe Tre hat.
Unsere Gespräche drehen sich immer um die gleichen Themen. Hunde, Schnee, das passende Wetter für Skijöring und vor allem um die bald stattfindende Yukon Quest.
Tre hat in jungen Jahren fünf Mal an dem härtesten Rennen der Welt teilgenommen. Als er Sally kennenlernte, hat er ihr zuliebe darauf verzichtet.
Seit unserem ersten Treffen liegt er mir in den Ohren, ich soll wenigstens einmal bei diesem Wettkampf starten. Erst danach wäre ich ein richtiger Mann und Musher.
„Wie sieht es aus, Junge. Nimmst du im Februar am Rennen teil?“ Hoffnungsvoll schaut Tre mich an.
„Nein. Im Februar oder März, der Termin steht noch nicht genau fest, breche ich zu einem Trail auf. Bis dahin stehen verschärftes Training und jede Menge Vorbereitungen an. Außerdem solltest du wissen, dass ich mit zwei Hunden nicht am Yukon Rennen teilnehmen kann. Meine Fellnasen würden das nicht überleben und ich somit auch nicht.“
„Ich habe dir oft genug gesagt, du sollst dir ein richtiges Rudel zulegen. Aber was planst du für einen Trail? Mit welchen Leuten und wo wirst du starten?“
Shoot! Ich bin so ein Trottel! Meine vorlaute Klappe war mal wieder schneller als mein Verstand. Ausgerechnet bei Tre! Der gibt nicht eher Ruhe, bis ich ihm alles erzählt habe.
Also beiße ich in den sauren Apfel und berichte in groben Zügen von Light Origins Angebot. Tres Augen werden beim Zuhören immer größer und ein fettes Grinsen legt sein gutmütiges Gesicht in Falten.
„Awesome! Da hast du ja ein richtiges Abenteuer vor dir. Junge, wenn du das geschafft hast, verneige ich mich vor dir und ziehe zur Feier des Tages den Waschbär vom Kopf.“
Ich frage mich, warum das für ihn so etwas Besonderes ist. Bisher bin ich zwar noch nie über mehrere Tage allein unterwegs gewesen, aber ein Risiko, geschweige ein Abenteuer sehe ich dabei nicht.
„Sally, hast du gehört?! Unser Küken wird nächstes Jahr seine Feuertaufe in Angriff nehmen! Er geht ganz allein auf einen Trail!“
Whoa, danke Tre!
Bei der Lautstärke hat es auch der letzte Gast im Café mitbekommen. Ich könnte den Kerl erwürgen. Jetzt bleibt mir doch gar keine Wahl. Ich muss das Angebot annehmen, sonst denken alle, ich wäre ein Feigling und würde mich nicht trauen.
Kele und Lonan, die bisher entspannt zu meinen Füßen gelegen haben, springen mit leisem Brummen auf.
Meine Schnüffelnasen haben sehr feine Antennen und merken sofort, wenn mich etwas aufwühlt. Sie legen ihre Köpfe auf meine Oberschenkel und schauen mich aus treuen Augen an. Ich kraule sie zwischen den Ohren, murmle leise, beruhigende Worte.
„Tre, du bist manchmal so ein unsensibler Trottel.“ Sally zischt ihren Mann empört über die Theke hinweg an.
„Was denn? Kann doch jeder wissen, dass Kjer ein Teufelskerl ist.“
„Lasst gut sein, ihr beiden. Ich muss jetzt los. Dank dir, Tre, werde ich heute Abend einem Vertrag zustimmen, von dem ich noch nicht ganz überzeugt bin.“
Ich verabschiede mich von den Browns und mache mich auf den Heimweg.
* * * *
Nachdem ich die Einkäufe ins Haus geschleppt und verstaut habe, muss ich die Hunde fast vor die Tür jagen. Sie schleichen ständig um meine Beine herum und fiepen leise.
Ich gehe in die Hocke und schlinge jedem einen Arm um den Hals. Ihre kalten, nassen Nasen stupsen liebevoll an meine Wangen, während sie ein wohliges Brummen von sich geben.
„Raus mit euch, ihr Räuber. Für heute ist das Training gestrichen. Tobt euch im Garten aus. Shoo!“
Von rechts und links bekomme ich jeweils einen feuchten Hundekuss, dann stürmen sie davon.
Sinnierend schaue ich ihnen hinterher. Mein Leben wäre um so vieles ärmer, wenn ich meine Knutschkugeln nicht hätte.
So, jetzt ums Essen kümmern, dann das Haus auf Vordermann bringen und danach mich selbst.
Ich habe zwar nicht die Absicht, Fabio zu beeindrucken, aber mein Ego lässt nicht zu, dass ich wie der letzte Penner aussehe.
Während meiner Putzorgie dröhnt Musik durch alle Räume. So kann ich diese ungeliebten Tätigkeiten wenigstens halbwegs ertragen. Ich hasse Hausarbeit! Bei mir ist es zwar nicht dreckig, dafür aber meist ziemlich unordentlich.
Es ist fast achtzehn Uhr, ehe ich mit allem fertig bin. Gestiefelt und gespornt sitze ich jetzt hier rum und weiß nicht, wie ich meine Gedanken im Zaum halten soll.
Ich habe ziemlichen Bammel vor dem Treffen. Was, wenn Fabio mir dumm kommt? Noch schlimmer – was passiert, wenn ich mit Blicken oder Gesten meine geheimsten Fantasien verrate?
Fuck! In meinem Kopf spielen sich die wildesten Szenarien ab.
Um mich abzulenken, bereite ich das Futter für die Hunde vor. Als hätten sie es gerochen, stürzen sie in den Schuppen. Die Geräusche der Hundeklappe, die sie von draußen in den Anbau bringt, sind nicht zu überhören.
Wie immer warten sie wohlerzogen, bis ich sie abgetrocknet habe.
„Na los, Jungs! Heute gibt es was zu fressen, ohne dass ihr es euch verdienen musstet.“
Mir ist schon klar, dass viele denken, ich habe einen an der Waffel. Aber ich finde, auch Tiere brauchen Ansprache. Außerdem ist niemand anderes da, mit dem ich reden könnte.
Für Fabios Hündinnen stelle ich einen zweiten Wassernapf in den Skiraum. Auf der Terrasse kann ich das Wasser nicht lassen, es würde innerhalb kürzester Zeit zu Eis erstarren. Immerhin herrscht eine Außentemperatur von minus 27 Grad.
Ich bin sehr neugierig auf die Hundedamen. Auf den Fotos, die ich gesehen habe, fand ich sie sehr hübsch.
Beide sind überwiegend weiß, eine mit hellgrauen Flecken an Hals, Brust und Schenkeln, die andere hat hellbraune Zeichnungen am Kopf und auf dem Rücken.
Ob meine wählerischen Herren sich vielleicht für die Hundemädchen begeistern lassen?
Farblich passen sie jedenfalls ausgezeichnet zueinander. Der schneeweiße Kele mit seinen grauen Ohren und der grauen Decke. Eventuell würde er seine verschiedenfarbigen Augen, eines blau, das andere braun, vererben.
Lonan würde Farbe ins Spiel bringen. Er ist ebenfalls weiß, hat jedoch eine schwarze Decke und sein Kopf ist überwiegend schwarz mit einer weißen Maske. Im Gegensatz zu Kele hat er bernsteinfarbene Augen.
Ich fände es sehr spannend, zu sehen, welche Farben sich durchsetzen und ob sich die gutmütige Art meiner Hunde vererben würde.
Auf jeden Fall werde ich mir die Tiere genau anschauen. Sollten ihre Erbanlagen gut sein und Fabio sich wirklich als netter Zeitgenosse entpuppen, werde ich ihn nach einem Deckakt fragen.
Sollte er selbst keine Möglichkeiten haben, einen Wurf aufzuziehen, würde ich seine Hündinnen gerne für die Zeit übernehmen.
Jesus, ich mache hier Pläne und weiß gar nicht, wie mein Gespräch mit Fabio überhaupt laufen wird. Manchmal bin ich echt bescheuert.


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