Kapitel 1 Dior
Ich. Bin. Verzweifelt.
Anders lässt es sich jedenfalls kaum erklären, dass ich
genau heute genau hier bin.
Mit einem stummen Seufzen sehe ich mich um und zupfe erneut
absichernd an der Augenmaske, die ich zu meinem Kostüm trage.
Wahlweise würde ich auch gern meine nackten, gut trainierten
Oberarme verdecken …
So ein Quatsch!
Ich renne doch nicht dreimal in der Woche ins Fitnessstudio
und gehe an den anderen vier Tagen schwimmen, um jetzt meinen hart erarbeiteten
Körper zu verstecken!
Dennoch frage ich mich zum wiederholten Male, wieso es mir
nach dem Gespräch mit meinem besten Freund Peer als gute Idee erscheinen
konnte, heute auszugehen. Hierher!
Ich bin nun Popeye … Nun ja, ein Seemann vermutlich
eher.
Weiße Bügelfaltenhose, mit zwei Reihen Knöpfen auf dem Bund,
ein hautenges, ärmelloses Shirt mit blau-weißen Querstreifen, dazu ein Halstuch
im selben Dunkelblau, das sich auch im Shirt zeigt.
Ebenso blaue Segelschuhe mit weißer Sohle komplettieren mein
Outfit, sehe ich vom weißen Matrosenhütchen und der Maske ab.
Laut meinem besten Freund, der heute mit seinem Verlobten zu
einem Valentins-Dinner im La dolce Sofia
verabredet ist, sitzt die Hose an mir schlicht perfekt, und bringt besonders
meinen Arsch gut zur Geltung.
Jenen halte ich deshalb vorzugsweise außer Sichtweite und
drücke mich lieber weiterhin an der Wand des Ballsaals herum, in den es mich heute
verschlagen hat.
Ein Gay-Anti-Valentins-Maskenball.
Quasi prädestiniert, um zu einem All you can fuck für die schwule Gesellschaft in und um Weidenhaus
zu werden …
Seit Monaten habe ich die Veranstaltungswerbung auf diversen
Plattformen im Netz und auf Plakaten im Ort gesehen.
Es herrscht Kostümzwang, der Beziehungsstatus muss absolut
zwingend Single sein, zudem trägt ausnahmslos jeder hier eine Maske, die
lediglich die Augenpartie verdeckt.
Inkognito-Ficken also.
Ich seufze erneut.
Mein Outfit verdeckt immerhin noch mehr als die Hälfte
meines trainierten Körpers, was ich von etlichen anderen Anwesenden nicht
behaupten kann.
Viele sind wohl wirklich hier, um sich auf dem bunten Büffet
der Eitelkeiten als williges Fickfleisch anzubieten.
Müsste mir eigentlich gefallen, aber bislang konnte ich
schlicht niemanden entdecken, der meiner Fantasie genug Spielraum geboten
hätte, um ihn anzusprechen.
Klar will ich ausnutzen, dass mich niemand erkennt, dass ich
ausnahmsweise einmal machen kann, was ich will, ohne über die Konsequenzen
nachdenken zu müssen, aber auch dabei habe ich gewisse Ansprüche.
Ein Halbnackter erfüllt sie per se nicht, weil mein Kopfkino
dann nicht arbeiten muss.
Ich stehe eben auf Männer, denen ich beim Sex nicht den Mund
verbieten muss, weil die gequirlte Scheiße, die sie sonst ablassen, mich total
abtörnen würde.
Stattdessen mag ich Köpfchen und Humor.
Ja, sogar bei One-Night-Stands.
Die Verkleidung kommt mir also wirklich gelegen, schließlich
kann ich mich in meinem Job nicht irgendwo verschanzen, sondern stehe täglich vielen,
vielen Menschen gegenüber.
Egal, jetzt ist Spaß befohlen, und genau den will ich, wenn
ich ganz-ganz ehrlich zu mir selbst bin, auch wirklich haben.
Gut.
Von der Wand weg an die Balustrade. Runtergucken.
Prima Idee – jeder Arsch, der vorbeigeht, fühlt sich also ab
jetzt dazu bemüßigt, mir mindestens auf den Hintern zu klatschen oder wahlweise
fest reinzugreifen.
Die ersten Kandidaten wehre ich noch ab, dann ziehe ich vor,
es zu ignorieren.
Vielleicht entdecke ich ja ein besonders cooles Kostüm und
finde den darin befindlichen Kerl brauchbar?
Was sagt die Wahl einer Verkleidung wohl über denjenigen
aus?
Während ich noch darüber grübele, wird mir bewusst, dass sie
gar nichts aussagt. Schließlich bin ich kein verkappter Seemann!
Während ich über die wogende Masse unter mir blicke,
erscheint es mir plötzlich irrsinnig schlau, erst mal etwas zu trinken.
Möglicherweise lässt mein Anspruch sich dadurch verklären?
Kapitel 2 Goran
Wer hat mir eigentlich ins Hirn geschissen, mich auf diesen
Schwachsinn einzulassen?
Valentinstag – sprich – Tag der Verliebten. Nichts weiter,
als eine Erfindung der Konsumgüterindustrie, um den Leuten das Geld aus der
Tasche zu ziehen.
Ich weigere mich schon mein ganzes Erwachsenenleben lang,
diesen Blödsinn mitzumachen. Warum habe ich mich bloß dazu überreden lassen,
diese Anti-Veranstaltung zu besuchen?
Im Grunde dient sie doch dem gleichen Zweck. Horrende Eintrittspreise, noch
teurere Getränke. Da man als Single auftreten muss, gaukeln die Veranstalter den
Besuchern doch nichts anderes vor, als könnten sie hier den Mann für ihre
einsamen Herzen finden.
So ein Bullshit!
Auf dieser Party findet man sicher nicht den Partner für ein
langes, glückliches Leben. Außer willigem Fickfleisch wird einem nichts
geboten.
Absolut nicht meine Welt. Ich stehe eher auf Typen, mit
denen ich ein sinnvolles Gespräch führen kann. Intelligenz törnt mich tausendmal
mehr an als ein ansehnlicher, halbnackter Körper.
Ben, mein bis vor einer halben Stunde bester Freund, hat
mich seit Wochen bearbeitet, ihn zu begleiten. Es wäre zu meinem Besten. Ich
müsste mal wieder raus, tanzen, Spaß haben.
Worin soll dieser Spaß bestehen?
Es einem notgeilen Hohlkopf zu besorgen?
Wenn ich mich in diesem Schuppen umschaue, sehe ich nichts, außer
nackter Haut und Männern, die albern durch die Gegend hüpfen, alles anbaggern
und angrabschen, was nicht bei drei auf dem Baum ist.
Ich bin froh, mich für das Zorro-Kostüm entschieden zu haben.
Außer einem winzigen Stück meiner Brust, ist alles an mir bedeckt. Sogar meine
Hände stecken in Lederhandschuhen mit langen Stulpen. Nervig ist allerdings der
Gaucho-Hut. Er ist ziemlich schwer und obwohl ich noch nicht lange hier bin,
staut sich die Hitze darunter. Meine Haare dürften inzwischen klatschnass am
Kopf anliegen, was mich daran hindert, ihn abzunehmen.
Ich rücke die breite Ledermaske zurecht, die meine
Augenpartie verdeckt, allerdings auch mein Sichtfeld stark einschränkt.
Mir geht grade alles auf den Sack! Ständig rempelt mich
jemand an, fremde Hände nutzen das Gedränge, mich an den unmöglichsten
Körperstellen zu berühren.
Sobald ich Ben in diesem Trubel wiederfinde, werde ich ihn
schlachten. Der Schweinehund hat sich klammheimlich verpisst, kaum dass wir den
Saal betreten hatten. So viel zu seinem Versprechen, wir würden uns gemeinsam
amüsieren.
Wären die Karten für diese Horrorveranstaltung nicht so teuer
gewesen, würde ich mich auf dem Absatz umdrehen und verschwinden, aber dazu bin
ich einfach zu geizig. Von daher marschiere ich jetzt in Richtung der meinem
Standort am nächsten gelegenen Bar und bestelle mir Wodka-Cola. Immerhin ist
das erste Getränk im Eintrittspreis enthalten.
Mit dem Glas in der rechten Hand lehne ich seitlich an der
Theke und mustere mit abfälligem Blick das Treiben um mich herum.
„Hast du Lust, mit der Peitsche, die an deinem Gürtel
baumelt, heute zu spielen?“, säuselt mir jemand ins Ohr und greift dabei fest in
meinen Arsch.
Betont langsam wende ich mich ganz um. Neben mir steht ein
halbes Hemd, gehüllt in eine Toga, die seinen Intimbereich nur notdürftig
bedeckt.
„Wenn du mich noch mal angrabschst, wirst du es schneller
erfahren als dir lieb ist!“, raunze ich ihn mit giftigem Blick an.
„Arschloch!“, zischt er und rauscht hoheitsvoll von dannen.
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