Freitag, 1. September 2023

[Leseprobe] Flirt in Florenz

 

1 Daniele

Ich liebe mein Leben!

Ganz ehrlich, ich meine das nicht ironisch.

Die Sonne scheint, die wunderbare Stadt Firenze, in der ich momentan lebe und arbeite, bietet mir alles, was ich brauche und will.

Kultur, gutes Wetter und Kundschaft.

Ich bin Zeichner, portraitiere Touristen, die auf der Piazza della Signoria umherwandern, weil sie als Etappenziel ihres Sightseeings die Uffizien oder die Statuen an der Piazza auf dem Plan haben.

Nun ja, die meisten sind wohl wegen der David-Replik hier. Mit Abstand das beliebteste Ziel der Touristen aus aller Welt.

Etliche meiner Kollegen sitzen deshalb tagsüber wie ich auf einem der quadratischen, etwa stuhlhohen Betonpoller auf der Piazza und warten unter Sonnenschirmen oder Pavillons neben ihren Staffeleien, Klappstühlen und ihrem Handwerkszeug auf Männer, Frauen und Kinder, die wahlweise eine Karikatur oder ein Portrait mit nach Hause nehmen wollen.

Ich weiß nicht mehr genau, wie viele Kohle- und Kreidezeichnungen ich heute verkauft habe.

Mit routinierten Griffen und Bewegungen raffe ich die Einrichtung meines Freiluft-Ateliers auf meinem Handwagen zusammen und mache mich nach Grüßen an meine Kollegen auf den Heimweg.

Ein paar Straßen weiter befindet sich das Ristorante Ponte Vecchio, das mein Onkel Gennaro betreibt.

Das gesamte, mehrstöckige Haus gehört ihm und eines der Zimmer im zweiten Stock ist mein Zuhause.

Ich ziehe den Karren durch eine Tür im Hinterhof und parke ihn ordentlich in dem kleinen Verschlag unter dem ersten Treppenaufstieg, dann gehe ich nach oben zu meinem nach meinen Wünschen eingerichteten Apartment. Es hat sogar ein eigenes Bad, für dessen Reinigung ich genauso selbst verantwortlich bin wie für mein geräumiges Zimmer. Eine Küchenzeile wollte ich darin nicht, weil ich so oder so immer zum Essen nach unten gehen kann.

Nach einer gründlichen Dusche, mit der ich den Schweiß des Tages von mir wasche, gehe ich ins Erdgeschoss, das im Hinterhaus die große Küche und vorn auf zwei Etagen das Lokal beherbergt.

Kaum bin ich durch die Tür, die auf der Lokalseite die Aufschrift ‚Privato‘ mit einem internationalen ‚Durchgang verboten‘-Schild trägt, gegangen, schon ruft meine Nonna mich mit überschwänglich-mütterlichem Ton an den Familientisch nahe der Küche in einer Nische. Die Familie sitzt keineswegs vom restlichen Publikum des Lokals getrennt, sondern mehr oder weniger auf dem Präsentierteller.

Mich hat das nie gestört, dabei konnte ich an bestimmten Abenden nämlich durchaus den einen oder anderen Augenschmaus von Touristen entdecken.

Wie heißt es so schön? Das Auge isst mit, in diesem Fall gern in zweierlei Hinsicht.

Meine Großeltern, mein Onkel und zwei Tanten, die allesamt in Italien geblieben sind, treffen sich nahezu täglich hier im Ristorante. Nicht zu vergessen einige Cousins und Cousinen …

Alle Mitglieder meiner Familie, die sich in Firenze aufhalten, sind abends hier, um gemeinsam zu essen.

Ich umarme meine Nonna genauso wie sie mich, dann nehme ich lächelnd Abstand und lasse mich auf meinem Platz am Tisch nieder.

Einer meiner Neffen rennt mit einem Spiel-Flugzeug aus Schaumstoff an mir vorbei und macht ein sehr feucht klingendes Brummgeräusch dazu.

Ich kichere.

„Vinnie, ich glaube, dein Flugzeug muss in die Waschstraße. Deine Hände übrigens auch“, sage ich amüsiert.

Sofort erklärt mir der Fünfjährige, dass ihm meine Idee mit dem Flugzeug-waschen ausgesprochen gut gefällt und startet durch, um zum privaten Waschraum der Familie zu rennen.

„Wenn du ihm schon so einen Unsinn erzählst, geh gefälligst mit und sorge dafür, dass ich ihn nicht noch mal komplett umziehen muss“, meckert meine Cousine gutmütig und scheucht mich mit wedelnden Handbewegungen hinter Vinnie her. „Los! Los!“

Lachend stehe ich auf und gehe dem Jungen nach.

Ich finde ihn am Waschbecken auf einem kleinen Tritthocker. Das Wasser läuft bereits und das Flugzeug ist nass, ebenso Vinnies leicht speckige Ärmchen.

„Hey, hey! Das Flugzeug muss baden, du musst nur die Hände waschen, Knirps“, sage ich und nehme ihm das Spielzeug ab.

Wir kriegen es hin und ich liefere meinen Neffen wieder bei seiner Mutter ab.

Vinnie klettert neben ihr auf seinen Stuhl mit Sitzpolster und ich hocke mich auf meinen eigenen.

Das Essen ist gemütlich, laut und fröhlich, was den Touristen an den anderen Tischen sehr zu gefallen scheint.

Ich vermute, wir stellen mit unserem ganz normalen Alltag eine Art Attraktion dar …


 

2 Jannik

Oh Mann, ich gucke jetzt bestimmt zum zwanzigsten Mal auf die Uhr, da ich den Feierabend herbeisehne.

Hennes, unser Polier, grinst frech und trompetet von der anderen Hausseite: „’Ne halbe Stunde noch, Jannik, dann kannst du deine Karre packen und Organspender spielen gehen!“

„Du kannst so ein Arsch sein!“, brülle ich zurück.

Seit einem schweren Autounfall vor ein paar Jahren hat der Gute einen echt schrägen Humor entwickelt, nicht nur in Bezug auf seine eigene Person.

Kann man ihm aber auch nicht verdenken.

Lange Zeit stand sein Überleben auf Messers Schneide. Aber Hennes ist ein Kämpfer. Allerdings ist er seitdem auf einem Auge blind und sein rechtes Bein ist im Knie sehr steif.

Unser Bauleiter und die rechte Hand des Chefs, Siegfried Piepenbrink, hat sich sehr dafür eingesetzt, dass Hennes trotz seiner Handicaps in der Firma bleiben konnte.

Morgen früh um acht Uhr treffe ich mich mit fünf Freunden auf dem Hof der Dachdeckerfirma Holtkamp. Von dort starten wir mit unseren Motorrädern in Richtung Vada an der Mittelmeerküste.

Kilian Denning, einer der Firmeninhaber und Chef meines Freundes Berthold Knopp, von allen nur Bertie genannt, hat darauf bestanden, uns mit einem anständigen Frühstück zu verabschieden.

Wir haben diese Tour seit über einem Jahr geplant und freuen uns wie doof, dass es endlich los geht.

Mit dabei sind neben meiner Wenigkeit und Bertie, noch Gernot Evens, Marc Hartmann und Sven Schäfer, alle drei Arbeitskollegen von mir. Dazu kommt noch Jörg Kerner, seines Zeichens Kripobeamter in Weidenhaus.

Endlich ist es vierzehn Uhr und ich verabschiede mich von den Kollegen unserer aktuellen Baustelle.

„Fahrt bloß vorsichtig, Jannik. Ich will euch alle in drei Wochen wieder heile begrüßen können“, gibt mir Hennes nach einer fetten Umarmung mit auf den Weg.

„Machen wir, versprochen. Aber du weißt selbst, wie viele Idioten auf den Straßen unterwegs sind.“

„Leider wahr. Ruf an, sobald ihr angekommen seid. Die Clique hat mich dazu verdonnert, im Chat Bescheid zu sagen.“

„Alles klar, aber jetzt muss ich los. Die Karre packt sich nicht von allein und ich muss vorher noch einkaufen. Wir wollen unterwegs ja nicht verhungern.“

Ich setze meinen Helm auf und schwinge mich auf meinen ganzen Stolz. Eine mattschwarze Goldwing, ausgestattet mit allen Schikanen der neuesten Technik.

~*~

Kurz vor acht biege ich in die Hofeinfahrt von Holtkamp Bedachungen und wundere mich über die unzähligen geparkten Autos.

Sobald ich den Helm absetze und auf dem Bock deponiere, höre ich, dass hier schon am frühen Morgen der Bär steppt.

Adriano Celentanos Azzurro schallt zu mir herüber und viele Kehlen unterstützen den Song mit mehr oder weniger erträglichen Stimmen.

Von wegen – ruhiges Frühstück vor dem Aufbruch.

Sobald ich mich der Wiese hinter dem neuen Bürokomplex nähere, sehe ich die halbe Clique versammelt, samt der kompletten Familien von Kilian und Wolf.

„Was ist denn hier los?!“, brülle ich gegen die Gesangsdarbietung an.

„Na, wir lassen euch doch nicht in Urlaub fahren, ohne uns anständig zu verabschieden“, erwidert Kilian, nachdem er mir die Hand gereicht hat.

Günter Holtkamp taucht neben mir auf und stupst mir den Ellenbogen in die Rippen. „Könnt ihr auf dem Rückweg nicht über Maranello fahren und mir einen Ferrari mitbringen?“, fragt er schelmisch grinsend.

„Aber sicher, Günter, und anschließend lassen wir uns von deiner Frau erschießen“, gebe ich zurück und lache.

„Hallo Jannik, erzählt mein Onkel wieder dummes Zeug?“ Wolf, Kilians Ehemann, reicht mir ebenfalls die Hand.

„Ach, nur ein Scherz am Rande. Aber jetzt gehe ich das Frühstücksbuffet plündern, ehe die verfressene Bande alles wegfuttert.“

Es ist fast halb zehn, ehe wir endlich aufbrechen können.

Wir winken allen noch mal zu, dann düsen wir los in Richtung Autobahn.

Vor uns liegen fast 1.300 Kilometer, ehe wir den Campingplatz in Vada erreichen. Dort wartet ein Holzbungalow mit allem erdenklichen Luxus auf uns.

Nach ungefähr acht Stunden Fahrt erreichen wir ohne große Staus unser Etappenziel in Andermatt.

Nach einer Übernachtung im Hotel, geht es am nächsten Morgen weiter zur Großglockner Hochalpenstraße.

Die lässt man sich als Motorradfreak natürlich nicht entgehen, wenn man schon mal in der Gegend ist.

Durch die tollen Aussichtspunkte an der Hochalpenstraße haben wir eine Menge Zeit verloren und treffen erst gegen sechzehn Uhr auf dem Campingplatz ein.

Nachdem wir uns in dem traumhaft schönen Bungalow eingerichtet haben, kümmern sich Jörg und Bertie um das Abendessen. Heute wird gegrillt, dazu gibt es frischen Salat und jede Menge Bier.

Ich schicke rasch eine Nachricht an Hennes, damit er unsere Freunde unterrichten kann, dass wir gut angekommen sind. Für morgen kündige ich ein längeres Telefonat an, um ihm mehr über die aufregende Fahrt über den Großglockner zu berichten.

Anschließend helfe ich Bertie bei der Schnippelei für die Riesenportion Salat.

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