1 Daniele
Ich liebe mein
Leben!
Ganz ehrlich, ich
meine das nicht ironisch.
Die Sonne scheint, die
wunderbare Stadt Firenze, in der ich momentan lebe und arbeite, bietet mir
alles, was ich brauche und will.
Kultur, gutes
Wetter und Kundschaft.
Ich bin Zeichner,
portraitiere Touristen, die auf der Piazza della Signoria umherwandern,
weil sie als Etappenziel ihres Sightseeings die Uffizien oder die Statuen an
der Piazza auf dem Plan haben.
Nun ja, die meisten
sind wohl wegen der David-Replik hier. Mit Abstand das beliebteste Ziel der
Touristen aus aller Welt.
Etliche meiner
Kollegen sitzen deshalb tagsüber wie ich auf einem der quadratischen, etwa
stuhlhohen Betonpoller auf der Piazza und warten unter Sonnenschirmen oder
Pavillons neben ihren Staffeleien, Klappstühlen und ihrem Handwerkszeug auf
Männer, Frauen und Kinder, die wahlweise eine Karikatur oder ein Portrait mit
nach Hause nehmen wollen.
Ich weiß nicht mehr
genau, wie viele Kohle- und Kreidezeichnungen ich heute verkauft habe.
Mit routinierten
Griffen und Bewegungen raffe ich die Einrichtung meines Freiluft-Ateliers auf
meinem Handwagen zusammen und mache mich nach Grüßen an meine Kollegen auf den
Heimweg.
Ein paar Straßen
weiter befindet sich das Ristorante Ponte Vecchio, das mein Onkel
Gennaro betreibt.
Das gesamte,
mehrstöckige Haus gehört ihm und eines der Zimmer im zweiten Stock ist mein
Zuhause.
Ich ziehe den
Karren durch eine Tür im Hinterhof und parke ihn ordentlich in dem kleinen
Verschlag unter dem ersten Treppenaufstieg, dann gehe ich nach oben zu meinem
nach meinen Wünschen eingerichteten Apartment. Es hat sogar ein eigenes Bad,
für dessen Reinigung ich genauso selbst verantwortlich bin wie für mein
geräumiges Zimmer. Eine Küchenzeile wollte ich darin nicht, weil ich so oder so
immer zum Essen nach unten gehen kann.
Nach einer
gründlichen Dusche, mit der ich den Schweiß des Tages von mir wasche, gehe ich
ins Erdgeschoss, das im Hinterhaus die große Küche und vorn auf zwei Etagen das
Lokal beherbergt.
Kaum bin ich durch
die Tür, die auf der Lokalseite die Aufschrift ‚Privato‘ mit einem
internationalen ‚Durchgang verboten‘-Schild trägt, gegangen, schon ruft meine Nonna
mich mit überschwänglich-mütterlichem Ton an den Familientisch nahe der Küche
in einer Nische. Die Familie sitzt keineswegs vom restlichen Publikum des
Lokals getrennt, sondern mehr oder weniger auf dem Präsentierteller.
Mich hat das nie
gestört, dabei konnte ich an bestimmten Abenden nämlich durchaus den einen oder
anderen Augenschmaus von Touristen entdecken.
Wie heißt es so
schön? Das Auge isst mit, in diesem Fall gern in zweierlei Hinsicht.
Meine Großeltern,
mein Onkel und zwei Tanten, die allesamt in Italien geblieben sind, treffen
sich nahezu täglich hier im Ristorante. Nicht zu vergessen einige
Cousins und Cousinen …
Alle Mitglieder
meiner Familie, die sich in Firenze aufhalten, sind abends hier, um gemeinsam
zu essen.
Ich umarme meine
Nonna genauso wie sie mich, dann nehme ich lächelnd Abstand und lasse mich auf
meinem Platz am Tisch nieder.
Einer meiner Neffen
rennt mit einem Spiel-Flugzeug aus Schaumstoff an mir vorbei und macht ein sehr
feucht klingendes Brummgeräusch dazu.
Ich kichere.
„Vinnie, ich
glaube, dein Flugzeug muss in die Waschstraße. Deine Hände übrigens auch“, sage
ich amüsiert.
Sofort erklärt mir
der Fünfjährige, dass ihm meine Idee mit dem Flugzeug-waschen ausgesprochen gut
gefällt und startet durch, um zum privaten Waschraum der Familie zu rennen.
„Wenn du ihm schon
so einen Unsinn erzählst, geh gefälligst mit und sorge dafür, dass ich ihn
nicht noch mal komplett umziehen muss“, meckert meine Cousine gutmütig und
scheucht mich mit wedelnden Handbewegungen hinter Vinnie her. „Los! Los!“
Lachend stehe ich
auf und gehe dem Jungen nach.
Ich finde ihn am
Waschbecken auf einem kleinen Tritthocker. Das Wasser läuft bereits und das
Flugzeug ist nass, ebenso Vinnies leicht speckige Ärmchen.
„Hey, hey! Das
Flugzeug muss baden, du musst nur die Hände waschen, Knirps“, sage ich und
nehme ihm das Spielzeug ab.
Wir kriegen es hin
und ich liefere meinen Neffen wieder bei seiner Mutter ab.
Vinnie klettert
neben ihr auf seinen Stuhl mit Sitzpolster und ich hocke mich auf meinen
eigenen.
Das Essen ist
gemütlich, laut und fröhlich, was den Touristen an den anderen Tischen sehr zu
gefallen scheint.
Ich vermute, wir
stellen mit unserem ganz normalen Alltag eine Art Attraktion dar …
2 Jannik
Oh Mann, ich gucke
jetzt bestimmt zum zwanzigsten Mal auf die Uhr, da ich den Feierabend herbeisehne.
Hennes, unser
Polier, grinst frech und trompetet von der anderen Hausseite: „’Ne halbe Stunde
noch, Jannik, dann kannst du deine Karre packen und Organspender spielen
gehen!“
„Du kannst so ein
Arsch sein!“, brülle ich zurück.
Seit einem schweren
Autounfall vor ein paar Jahren hat der Gute einen echt schrägen Humor
entwickelt, nicht nur in Bezug auf seine eigene Person.
Kann man ihm aber
auch nicht verdenken.
Lange Zeit stand
sein Überleben auf Messers Schneide. Aber Hennes ist ein Kämpfer. Allerdings
ist er seitdem auf einem Auge blind und sein rechtes Bein ist im Knie sehr steif.
Unser Bauleiter und
die rechte Hand des Chefs, Siegfried Piepenbrink, hat sich sehr dafür
eingesetzt, dass Hennes trotz seiner Handicaps in der Firma bleiben konnte.
Morgen früh um acht
Uhr treffe ich mich mit fünf Freunden auf dem Hof der Dachdeckerfirma Holtkamp.
Von dort starten wir mit unseren Motorrädern in Richtung Vada an der
Mittelmeerküste.
Kilian Denning,
einer der Firmeninhaber und Chef meines Freundes Berthold Knopp, von allen nur
Bertie genannt, hat darauf bestanden, uns mit einem anständigen Frühstück zu
verabschieden.
Wir haben diese
Tour seit über einem Jahr geplant und freuen uns wie doof, dass es endlich los
geht.
Mit dabei sind
neben meiner Wenigkeit und Bertie, noch Gernot Evens, Marc Hartmann und Sven
Schäfer, alle drei Arbeitskollegen von mir. Dazu kommt noch Jörg Kerner, seines
Zeichens Kripobeamter in Weidenhaus.
Endlich ist es
vierzehn Uhr und ich verabschiede mich von den Kollegen unserer aktuellen
Baustelle.
„Fahrt bloß
vorsichtig, Jannik. Ich will euch alle in drei Wochen wieder heile begrüßen
können“, gibt mir Hennes nach einer fetten Umarmung mit auf den Weg.
„Machen wir,
versprochen. Aber du weißt selbst, wie viele Idioten auf den Straßen unterwegs
sind.“
„Leider wahr. Ruf
an, sobald ihr angekommen seid. Die Clique hat mich dazu verdonnert, im Chat
Bescheid zu sagen.“
„Alles klar, aber
jetzt muss ich los. Die Karre packt sich nicht von allein und ich muss vorher
noch einkaufen. Wir wollen unterwegs ja nicht verhungern.“
Ich setze meinen
Helm auf und schwinge mich auf meinen ganzen Stolz. Eine mattschwarze Goldwing,
ausgestattet mit allen Schikanen der neuesten Technik.
~*~
Kurz vor acht biege
ich in die Hofeinfahrt von Holtkamp Bedachungen und wundere mich über die
unzähligen geparkten Autos.
Sobald ich den Helm
absetze und auf dem Bock deponiere, höre ich, dass hier schon am frühen Morgen
der Bär steppt.
Adriano Celentanos Azzurro schallt zu mir herüber und viele
Kehlen unterstützen den Song mit mehr oder weniger erträglichen Stimmen.
Von wegen – ruhiges
Frühstück vor dem Aufbruch.
Sobald ich mich der
Wiese hinter dem neuen Bürokomplex nähere, sehe ich die halbe Clique
versammelt, samt der kompletten Familien von Kilian und Wolf.
„Was ist denn hier
los?!“, brülle ich gegen die Gesangsdarbietung an.
„Na, wir lassen
euch doch nicht in Urlaub fahren, ohne uns anständig zu verabschieden“,
erwidert Kilian, nachdem er mir die Hand gereicht hat.
Günter Holtkamp
taucht neben mir auf und stupst mir den Ellenbogen in die Rippen. „Könnt ihr
auf dem Rückweg nicht über Maranello fahren und mir einen Ferrari mitbringen?“,
fragt er schelmisch grinsend.
„Aber sicher,
Günter, und anschließend lassen wir uns von deiner Frau erschießen“, gebe ich
zurück und lache.
„Hallo Jannik,
erzählt mein Onkel wieder dummes Zeug?“ Wolf, Kilians Ehemann, reicht mir
ebenfalls die Hand.
„Ach, nur ein
Scherz am Rande. Aber jetzt gehe ich das Frühstücksbuffet plündern, ehe die
verfressene Bande alles wegfuttert.“
Es ist fast halb
zehn, ehe wir endlich aufbrechen können.
Wir winken allen
noch mal zu, dann düsen wir los in Richtung Autobahn.
Vor uns liegen fast
1.300 Kilometer, ehe wir den Campingplatz in Vada erreichen. Dort wartet ein
Holzbungalow mit allem erdenklichen Luxus auf uns.
Nach ungefähr acht
Stunden Fahrt erreichen wir ohne große Staus unser Etappenziel in Andermatt.
Nach einer Übernachtung
im Hotel, geht es am nächsten Morgen weiter zur Großglockner Hochalpenstraße.
Die lässt man sich
als Motorradfreak natürlich nicht entgehen, wenn man schon mal in der Gegend
ist.
Durch die tollen
Aussichtspunkte an der Hochalpenstraße haben wir eine Menge Zeit verloren und
treffen erst gegen sechzehn Uhr auf dem Campingplatz ein.
Nachdem wir uns in
dem traumhaft schönen Bungalow eingerichtet haben, kümmern sich Jörg und Bertie
um das Abendessen. Heute wird gegrillt, dazu gibt es frischen Salat und jede
Menge Bier.
Ich schicke rasch
eine Nachricht an Hennes, damit er unsere Freunde unterrichten kann, dass wir
gut angekommen sind. Für morgen kündige ich ein längeres Telefonat an, um ihm
mehr über die aufregende Fahrt über den Großglockner zu berichten.
Anschließend helfe
ich Bertie bei der Schnippelei für die Riesenportion Salat.
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